Sage Sohier - Witness to beauty - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur Art + Design



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 14.12.2016


Sage Sohier - Witness to beauty
Hannah Hanemann

Der Fotoband dokumentiert in ästhetischen und intimen Bilden nicht nur die noch immer bestechende Schönheit eines ehemaligen Fotomodells, der Mutter der Fotografin, sondern auch deren Sehnsucht nach der Glamourösität und Exquisität einer vergangenen Ära, ...




... in der die Kultivierung der äußeren Erscheinung für Frauen ein zentraler Bestandteil ihrer Identität war.

Teils inszenierte, teils aus dem Moment heraus entstandene Aufnahmen fügt die Fotografin, deren Werke in zahlreichen Soloausstellungen und Galerien gezeigt wurden und die unter anderem an der Harvard University Fotografie unterrichtet hat, zum Portrait einer Frau zusammen, die neben ihres femininen und stets perfekt gestylten Äußeren eine bewundernswerte Leichtigkeit und Lebendigkeit ausstrahlt.
Das ehemalige Model Wendy Burden entstammt der amerikanischen High Society und nahm in ihrer Jugend zunächst Gesangs- und Schauspielunterricht. Mit 16 Jahren wurde sie von niemand geringerem als Richard Avedon entdeckt und war unter anderem 1948 auf dem Cover des Life Magazine zu sehen. Fotos aus dieser Zeit eröffnen den Bildband und zeigen sie als junge Frau im Stil der 40er und 50er Jahre. Die darauffolgenden Fotos hat Sage Sohier im Verlauf zweier Jahrzehnte zwischen 1994 und 2014 aufgenommen. Auf den letzten Bildern ist Wendy Burden bereits über achtzig.

Neben der Dokumentation ihrer täglichen Schönheitsroutine, bestehend aus Schaumbädern, dem Auftragen von Make Up oder dem Bleichen von Gesichtsbehaarung, sind auch Fotos von ernsteren Ereignissen im Leben der Protagonistin zu finden, wie etwa dem Tod ihres Lebensgefährten oder ein späterer Besuch an dessen Grab.
Obwohl die Bilder nichts beschönigen und auch Narben oder Altersflecken nicht verstecken, bietet sich die Mutter der Fotografin in ihnen doch mit solcher Grazie und Präsenz dar, dass sie niemals entblößend oder unvorteilhaft wirken.
Ob nackt beim Schwimmen im Pool, beim Minigolfen im bunt gepunkteten Pullover oder mit Duschhaube und Drink im Spa: Wendy Burden dominiert jedes Bild mit ihrer eindringlichen Vitalität.

Perfekte Selbstinszenierung im Fokus von Reflexionen

Als Hommage an ihre Mutter ist Sage Sohier ein wunderschöner Einblick in das Leben einer schillernden Frau gelungen, auf allgemeinerer Ebene spielt es mit der Faszination für Schönheit, dem Prozess des Alterns und dem Kontrast verschiedener Generationen. Der Titel des Bandes, "Witness to beauty" beschreibt gut, wie die Rezipientin sich beim Betrachten der Bilder fühlt: als stille Beobachterin einer Frau, deren Schönheit sie zugleich sehr real, aber auch distanziert und entrückt wirken lässt. Ihre aufwendige Aufmachung, die prunkvollen Möbel im Hintergrund oder auch der zurechtgestutzte Garten in dem sie in perfekt zur Umgebung abgestimmter geblümter Bluse der Gartenarbeit nachgeht, verleihen den Bildern den Hauch einer vergangen und seltsam unwirklichen Epoche.

Die Liebe zum Selbstbild kommt in den Aufnahmen mehrmals zur Geltung. Bezeichnend sind hierfür die Spiegel, die als wiederkehrendes Motiv in einigen Aufnahmen auftauchen. Manchmal ist in ihnen die Fotografin zu sehen, immer jedoch das Fotomodell, das sich eingehend in ihnen betrachtet. Auf dem Coverfoto springen der Betrachterin sogleich die sich bis in die Unendlichkeit wiederholenden Reflexionen der Badenden ins Auge, in denen ihr Abbild zwischen mehreren Spiegeln unaufhörlich hin und her geworfen wird. Sie steht im Zentrum eines jeden Spiegelbildes und verfolgt mit hochgezogener Augenbraue die Vervielfältigung ihrer Erscheinung.

Der Bruch mit dem äußeren Schein

Neben Zeugnissen dieser unfehlbar wirkenden Selbstinszenierung enthält Sohiers Band aber auch Aufnahmen, die mit dem Bild dieser Welt brechen und andere Aspekte ihrer Mutter zeigen. So ist auf einem Foto eine große Narbe zu sehen, die sich quer über deren Bauch zieht, auf einem anderen fährt sie im Rollstuhl und mit einer Krücke über dem Arm durch Ikea. Im Nachwort erzählt die Fotografin von einer Knieverletzung, die ihre Mutter im Alter von dreißig Jahren, nach ihrer Modellkarriere, erlitt und die ihr Bein dauerhaft schädigte. Für eine Frau, die ihr ganzes Leben davor als Ausnahmeschönheit galt und sehr auf ihr Aussehen bedacht war, muss dies ein besonders großer Schlag gewesen sein.
Durch ihr privilegiertes und scheinbar vollkommenes Leben ziehen sich die Spuren von Krankheit, Alter, Traurigkeit und Verlust. Sage Sohiers lässt in ihrem Fotoband auch diese Aspekte nicht aus und öffnet der Betrachterin in intimen und anrührenden Bildern den Blick auf eine verletzliche, aber auch kämpferische Seite ihrer Protagonistin.

AVIVA-Tipp: Neben der sensiblen und persönlichen Betrachtung einer Tochter auf ihre alternde Mutter ist "Witness to beauty" auch Hommage an eine Zeit, die den Schwierigkeiten des Lebens Kultiviertheit und Ästhetik entgegenstellte. Teils traurige, teils lebensbejahende Bilder vermischen sich zu einem faszinierenden Gesamtwerk, das die Themen Schönheit und Altern mit einer bemerkenswerten Leichtigkeit miteinander verbindet.

Zur Fotografin: Sage Sohier, 1954 in Washington geboren, hat Stipendien der Guggenheim Foundation und des National Endowment for the Arts erhalten und vier weitere Fotobücher veröffentlicht. Unter ihnen hat vor allem ihr Band "At Home With Themselves: Same-Sex Couples in 1980s America", der 2014 bei Spottet Books erschienen ist, besondere Beachtung erlangt. Ihre Arbeiten wurden in zahlreichen Ausstellungen gezeigt und sind in vielen wichtigen Sammlungen vertreten, darunter im Museum of Modern Art, New York, im Museum of Fine Arts, Houston, und im San Francisco Museum of Modern Art.
Sage Sohier hat an der Harvard University, dem Wellesley College und dem Massachusetts College of Art Fotografie unterrichtet. Ihre Arbeiten erschienen u.a. im New York Times Magazine, Bloomberg Business Week, TIME, Newsweek, Wired, Audubon, Discover, Entertainment Weekly, und dem Oprah Magazine.
Sie wird vertreten von der Foley Gallery in New York, Carroll and Sons Gallery in Boston, und der Joseph Bellows Gallery in San Diego.
Ein im Jahr 2016 erschienenes Interview mit der Fotografin über ihre Motivation für die Serie "Witness to Beauty" und die Zusammenarbeit mit ihrer Mutter finden Sie auf Spiegel Online.
Mehr Infos unter: www.sagesohier.com

Sage Sohier
Witness to beauty

AutorInnen: Marvin Heiferman, Sage Sohier
Kehrer Verlag, erschienen 2016
Festeinband mit Schutzumschlag, 108 Seiten, 96 Farb- und S/W-Abb., Englisch
ISBN 978-3-86828-729-5
39,90 Euro
www.artbooksheidelberg.com

Im Frühjahr 2017 werden Sage Sohiers Fotos in der Carroll and Sons Gallery, Boston, ausgestellt.
Mehr Infos unter: www.carrollandsons.net.

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

Annelie Ramsbrock - Korrigierte Körper. Eine Geschichte künstlicher Schönheit in der Moderne
"Schönheit", ein Konzept, das ungemein gesellschaftlichen Einfluss nimmt – die Wissenschaftlerin dekodiert das mystifizierte Konzept, indem sie die Herausbildung von "Kosmetik" historisch betrachtet. (2016)

Gespiegeltes Ich – Fotografische Selbstbildnisse von Künstlerinnen und Fotografinnen in den 1920er Jahren.
In Zeiten von Profilbildern als "Selfie" verunglimpft, war das fotografische Autoportrait in der modernen Avantgarde eine aussagekräftige Reflexion von Selbst- und Fremdzuschreibungen. Zugleich ist es bis heute ein wichtiges Mittel künstlerischer Auseinandersetzung mit der eigenen Identität. In diesem Sinne untersucht diese Aufsatzsammlung weibliche Selbstportraits vor ihrem soziohistorischen Hintergrund. (2013)

Patricia Gozalbez Cantó - Fotografische Inszenierung von Weiblichkeit.
Garçonne, Diva oder Sportlerin? In ihrer Dissertation analysiert die Deutsch-Katalanin Fotos als historische Quellen, die Aufschluss über den Status und die dazugehörigen Lebensentwürfe der jeweiligen Weiblichkeitstypen geben. (2012)

Female Trouble - Die Kamera als Spiegel und Bühne weiblicher Inszenierungen
"Female Trouble" evoziert der Katalog zur gleichnamigen Ausstellung mit provozierenden Fotografien von Künstlerinnen wie Grete Stern, Ellen Auerbach, Cindy Sherman, Nan Goldin und Diane Arbus uva. (2008)






Literatur > Art + Design

Beitrag vom 14.12.2016

AVIVA-Redaktion