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Beitrag vom 19.12.2013
Gespiegeltes Ich – Fotografische Selbstbildnisse von Künstlerinnen und Fotografinnen in den 1920er Jahren. Herausgegeben von Gerda Breuer, Elina Knorpp
Lea Albring
In Zeiten von Profilbildern als "Selfie" verunglimpft, war das fotografische Autoportrait in der modernen Avantgarde eine aussagekräftige Reflexion von Selbst- und Fremdzuschreibungen. Zugleich...
... ist es bis heute ein wichtiges Mittel künstlerischer Auseinandersetzung mit der eigenen Identität. In diesem Sinne untersucht diese Aufsatzsammlung weibliche Selbstportraits vor ihrem soziohistorischen Hintergrund.
Ein "Ich-Dialog mit der Kamera"
Rein auf die lexikalische Bedeutung des Wortes hinuntergebrochen ist die Selbstdarstellung eine Darstellung des Selbst – ein Anspruch, der mindestens genauso utopisch wie intim ist. Wer kann – und vor allem, wer will – schon alle Seiten der eigenen Person in nur einer Darstellung zum Ausdruck bringen? Die vorliegenden Selbstportraits der Fotografinnen und Künstlerinnen sind dennoch eher an diesem, denn am konventionellen, tendenziell negativen Verständnis des Begriffs orientiert. Herausgeberin Gerda Breuer grenzt die Fotografien des Bandes klar von heute gängigen Klischees ab: "Keine Auftragswerke, offenbaren diese Bilder einen hohen Grad an Intimität. Fast nie dienen sie der Repräsentation, der Selbstdarstellung für andere und der Behauptung einer beruflichen Professionalität nach außen, vielmehr treten die Frauen in eine Art Ich-Dialog mit der Kamera."
Neue Geschlechter- und Subjektkonzepte stehen im Fokus der Veröffentlichung, die neben modernen und künstlerischen Identitätskonstruktionen auch neue technische Möglichkeiten und genderspezifische Einschätzungen reflektiert und thematisiert.
Ãœberblicke und Einzelbetrachtungen
Die dreizehn Aufsätze gehen zurück auf ein Symposium der Bergischen Universität Wuppertal, auf dem die TeilnehmerInnen Ende 2012 "Fotografische Selbstbildnisse von Designerinnen, Fotografinnen und Künstlerinnen der 1920er und 1930er Jahre" diskutierten. In den ausgearbeiteten Vorträgen verfolgen die AutorInnen unterschiedliche Ansätze – während Avantgarde-Expertin Elina Knorpp und Kulturjournalist Klaus Honnef Überblicke zu der soziokulturellen Situation der Frau um 1920 und den spezifischen Bedingungen für Fotografinnen zu jener Zeit geben, konzentrieren sich andere auf einzelne Künstlerinnen und Werke. Die Kunsthistorikerin Hella Nocke-Schrepper beispielsweise setzt sich mit den Autoportraits von Germaine Krull auseinander, in denen sie ein zunehmendes weibliches Selbstbewusstsein widergespiegelt sieht.
Inwiefern die Selbstbildnisse von Designerin Marianne Brandt mit der Bauhaus-Geschichte verwurzelt und somit nicht als Ausdruck einer Geschlechter-, sondern einer "Bauhausidentität" zu begreifen sind, fragt hingegen die New Yorker Professorin Elizabeth Otto. Indem Brandt die eigentlich männlich konnotierte HandwerkerInnenrolle einer Kunst-Konstrukteurin für sich beansprucht, schafft sie in ihren Selbstbildnissen und Collagen eine produktive Spannung zwischen neuer Künstlerinnenidentität und altem Rollenbild.
In der Zusammenschau der einzelnen Beiträge treten die Gemeinsamkeiten, aber auch die Unterschiede der Künstlerinnen besonders stark hervor. So definieren Claude Cahuns Arbeiten mit Maskierungen und Verkleidungen den Begriff ´Selbstbildnis´ sehr weit, während serielle Autoportraits, beispielsweise von Lucia Moholy und Florence Henri, den Rahmen wieder enger stecken.
Der weit gefasste Begriff des Selbstportrait verleiht der Aufsatzsammlung einen besonderen multiperspektivischen Reiz.
Neben den genannten werden unter anderem Arbeiten von Ilse Bing, Marianne Breslauer, Lotte Jacobi, Dora Maar, Ré Soupault, Varvara Stepanova, Ljubov Popova, Grete Stern und Ellen Auerbach analysiert.
AVIVA-Tipp: "Gespiegeltes Ich" ist eine Sammlung, die vieles in Frage stellt: Frühere und heutige Konventionen von Selbstdarstellungen und engstirnige Rollenbilder genauso, wie den verkürzten Blick auf das Werk von Künstlerinnen und Fotografinnen. Nicht nur in den Abbildungen, sondern auch in den Texten räumt das Buch seinen Akteurinnen den Platz ein, den es braucht, wenn es um die künstlerische Auseinandersetzung mit so komplexen Themen wie Identität und Selbstwahrnehmung geht. Mit seiner differenzierten Sicht wird diese Veröffentlichung beachtenswerten Künstlerinnen ebenso wie einem vielschichtigen Phänomen gerecht.
Zu den Herausgeberinnen:
Die Kunsthistorikerin Gerda Breuer, geboren 1948 in Aachen, ist seit 1995 Professorin an der Bergischen Universität Wuppertal, Schwerpunkte ihrer Arbeit sind die Kunst-, Fotografie- und Designgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts. Sie lehrte unter anderem in Ann Arbor, Leiden, Aachen, Bielefeld und Köln. Seit 2005 ist sie Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirates der Stiftung Bauhaus Dessau.
Elina Knorpp ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Bergischen Universität Wuppertal. Sie arbeitete als freie Kunsthistorikerin für verschiedene Ausstellungs- und Publikationsprojekte, von 2009-2010 betreute sie als Redakteurin und Herausgeberin zwei Sammlungskataloge des Museum Ludwig (Köln) zur Russischen Avantgarde.
Gerda Breuer, Elina Knorpp (Hg.)
Gespiegeltes Ich. Fotografische Selbstbildnisse von Künstlerinnen und Fotografinnen in den 1920er Jahren
Nicolai Verlag, erschienen Dezember 2013
Gebunden, 192 Seiten, mit 115 Abbildungen
ISBN 978-3-89479-799-7
29, 90 Euro
www.nicolai-verlag.de
Diesen Titel können Sie online bestellen bei FEMBooks
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