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Beitrag vom 14.10.2016
Stars of David. Der Sound des 20. Jahrhunderts
Magdalena Herzog
Wenn der große König David hervorragend dichtete und sang, so müssen das seine Nachkommen etwa 3000 Jahre später wohl auch getan haben. Haben sie auch, wenn Bob Dylan, die Ramones, Barbra Streisand und Amy Winehouse gemeint sind. So jedenfalls groovt es ...
... der Titel der aktuellen Ausstellung im Jüdischen Museum Wien.
König David als Rockstar mit Vorbildfunktion
Die Repräsentation des Jüdischen in der Popkultur ist in den vergangenen Jahren zum Fokus einiger Wissenschaftler_innen und Publizist_innen geworden. Musik ist dabei selbstverständlich entscheidend und so beschäftigte sich bereits 2014 das Jüdische Museum Hohenems in der Ausstellung "Jukebox, Jewkbox! A Century on Shellac and Vinyl" oder das Jüdische Museum Berlin mit der Ausstellung "Radical Jewish Culture. Musikszene New York seit 1990" damit. Das Jüdische Museum Wien knüpft deutlich detailreicher an, und spielt bereits in dem Titel mit biblischen Inhalten und dem Glamour des Showbusiness: Star of David war zu König Davids Zeit ein dekoratives Element, mittlerweile steht es symbolisch für jüdische Identität, nicht zuletzt auf der israelischen Flagge. Doch Stars of David bezieht sich darauf, dass der König als "erster Rockstar der Geschichte" betrachtet werden kann. Juden/Jüdinnen im 20. Jahrhundert haben es ihm nachgetan und werden von Juden/Jüdinnen wie Nichtjuden/Nichtjüdinnen als Stars gefeiert.
Being Jewish Matters
In 26 Artikel und Interviews wird diese Art des "Nachahmens" in den zentralen musikalischen Strömungen des 20. Jahrhunderts bis zur Gegenwart untersucht (Operette, Musical, Rock ´n´ Roll, Rock, Hip-Hop, Reggae, Punk ...). Leitend ist die Frage, welchen Beitrag Juden/Jüdinnen zur Populärmusik geleistet haben und in welcher Art und Weise Judentum, die Erziehung, Erfahrung und Bewusstsein von Ausgrenzung und die Aushandlung von Identität in diesen Beitrag hineinspielen und wie dieser für die Zuhörenden deutlich wird. Das Ergebnis ist deutlich, so die Autor_Innen: Being Jewish Matters. Erkenn- und Hörbar ist es nur unterschwellig, wenn frau/man zwischen den Zeilen intertextuell hinhört, denn der Großteil der vorgestellten Musiker_innen ging äußerst zurückhaltend mit ihrer jüdischen Herkunft um, ganz unabhängig davon, ob sie für sie persönlich vordergründig war oder nicht.
In diesem Umfang und in dieser Tiefe ist der Band einzigartig – mit dieser Selbstbeschreibung übertreiben die Herausgeber Marcus G. Patka und Alfred Stalzer (beide tätig am Jüdischen Museum Wien) keineswegs.
Besonders einschlägig ist der Text von Caspar Battegay, der die Frage nach dem Verhältnis zwischen Judentum und Popkultur wesentlich mit hervorgebracht hat und der weniger nach der Identifikation, als nach der Repräsentation und der Wahrnehmung des Jüdischen fragt. Zwölf Songs von 1927 bis 2012 (Al Jolson: My Mommy, Asaf Avidan & the Mojos: Reckoning Song) befragt er daraufhin, und ihm gelingt es insbesondere, (zeit)historische, literarische oder biblische Bezüge herzustellen, die durchaus eines spezifischen Blicks und Bewusstseins bedürfen, um diese zu erkennen. Wenn nun der wieder einmal zum Held erhobene Bob Dylan singt, "Oh God said to Abraham: ´Kill me a son´", dann ist das eine eindeutige Referenz auf den Text des 1. Buch Mose und der Geschichte von Abraham und Isaak. Weniger klar zu erkennen ist jedoch, dass hier – so Battegay – ein Element jüdischer Tradition aufgegriffen wird: das der "Umdeutung und nicht abzuschließenden Interpretationen biblischer Texte". Weitere Beispiele eines anderen Textverständnisses zum eigenen Nachlesen können die Ramones mit "Blitzkrieg Bop" und Billy Joel mit "We didn´t start the fire" sein. Gewohnt sind wir im deutschen Kontext diese Herangehensweise nicht, in dem es viel öfter darum geht aufzuzeigen, wie irrelevant jüdische Herkunft für die künstlerische Produkte sind. Damit wird der Raum genommen, die Musik und die Texte dieser Popikonen anders zu hören und zu lesen.
Jüdisch-Sein wird hip – aber sehr langsam
Abgespielt hat sich diese Schneise jüdischer Geschichte bisher vornehmlich in den USA. So sehr es das Land der Freiheit war, so war die Musik, waren die Texte auch eine Reaktion auf die Erfahrung von Verfolgung, der Migration und der nicht immer freiwilligen Assimilation – als bestes Beispiel dafür steht Irving Berlin mit seinem Song "White Christmas". Auch nachdem Juden/Jüdinnen sich in den 50er- und 60er Jahren bis in die Mittelschicht hochgearbeitet hatten, änderten sie noch häufig ihre Namen wie Bob Dylan (geboren als Robert Allen Zimmerman), die Mitglieder der Ramones und von Kiss. Denn (noch) war Jüdisch-Sein nicht hip, sondern vielmehr stigmatisiert, was sich besonders mit dem Sechstagekrieg verstärkte. Barbra Streisand stellt eine Ausnahme dar, ihr offener Umgang mit der jüdischen Identität von Funny Brice in Funny Girl galt als aufsehenerregend und Battegay erhebt sie sogar zur Königin des Judentums. Vielleicht war sie die erste, die das Jüdische hip machte. Als einer der späten Nachfolger ist in jedem Falle Matisyahu zu nennen, der seine religiösen Texte auf Reggae sang und diese bei religiösen wie säkularen Juden und Goyim hochattraktiv zu machte. Mittlerweile lebt er säkular. Explizit wird das Jüdische bei Amy Winehouse nicht, doch für das Publikum wurden alte Phantasmen nach ihrem frühen Tod relevant: der der verführerischen und gleichzeitigen bedrohlichen Jüdin zusammen mit dem des "kontrollierten ´nice Jewish girl´" der Vorstadt.
Und was ist nun mit Haim? Der Rockband aus Kalifornien, bestehend aus drei jüdischen Frauen mit dem Nachnamen Haim, und ihrem Cousin, die seit 2012 tolle Musik machen? Zumindest der Bandname zeigt, dass es mittlerweile ein Umfeld gibt, in dem jüdische Hipness vollkommen angesagt ist.
AVIVA-Tipp: Der Band ist selbst ohne Ausstellung ein sehr gut lesbares, eigenständiges Werk, das mit seinem neuen Blick auf Musik und Popkultur äußerst inspirierend, faszinierend und vor allem cool ist. Denn es eröffnet auch eine andere Perspektive auf jüdische Identitäten im 20. und 21. Jahrhundert, auf das Spannungsverhältnis religiös und säkular, traditionell und kulturell, jüdisch und nichtjüdisch und nicht zuletzt die der eigenen jüdischen Geschichte der Stars.
Unabhängig davon, ob die Leserin eher bewandert ist in der jüdischen oder musikalischen Geschichte – beide Aspekte und ihre enge Verschränkung werden so aufgefächert, dass alle Leser_innen auf ihre Kosten kommen.
Stars of David. Der Sound des 20. Jahrhunderts
Herausgegeben von Marcus G. Patka und Alfred Stalzer
Hentrich & Hentrich, erschienen April 2016
Broschiert, 352 Seiten, 315 farbige Abbildungen
Sprachen: Deutsch und Englisch
Preis: 29,00 EUR
ISBN: 978-3-95565-136-7
www.hentrichhentrich.de
Das Buch erschien zur gleichnamigen Ausstellung vom 13. April bis 16. Oktober 2016 im Jüdischen Museum Wien. Mehr Informationen zur Ausstellung unter:
www.hentrichhentrich.de
Weiterlesen:
Caspar Battegay: Judentum und Popkultur. Ein Essay www.transcript-verlag.de
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