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Beitrag vom 11.03.2018
Mira Magén – Zuversicht. Lesung/ Gespräch mit Mira Magén am 11.04.2018 im Rahmen der Deutsch-israelischen Literaturtage 2018
Sigrid Brinkmann
Mira Magéns Vorrat an Geschichten ist unerschöpflich und ihre Kunst als Erzählerin uneinholbar, wenn es darum geht, die Fähigkeit des Menschen zu beschreiben, sich seiner Kräfte zu besinnen und immer weiter zu leben. In ihrem Roman "Zuversicht" sucht eine 39 Jahre alte Witwe Zuflucht im Altenheim.
"Friedhof, Irrenanstalt oder betreutes Wohnen": diese drei Optionen, meint die 39 Jahre alte Nava, seien alles, was ihr bleibt, nachdem ihr Mann und der kleine Sohn bei einem Autounfall tödlich verunglückt waren. Sie verschließt ihre Wohnung, auf dass kein einziges Molekül vom Atem der Verstorbenen darin verloren gehe, wählt das Altenheim und löst ihr Büro für Innenarchitektur auf, um als Kassiererin im Supermarkt zu jobben und um die Katastrophe kreisende Gedanken anzuhalten.
Es ist lange her, dass die in Jerusalem lebende Schriftstellerin als Psychologin in einem Krankenhaus Patientinnen und Patienten sah. Wie sehr sie das ganze Spektrum menschlicher Reaktionsweisen auf Schicksalsschläge fasziniert, spiegelt ihre Literatur deutlich. Mira Magén hat ein untrügliches Gespür für Dramen, beutet den Stoff aber niemals sentimental aus. Die Gemütslage ihrer Figuren changiert zwischen sensibler Selbstbeobachtung und offensiver Selbstbehauptung. Sie hadern, suchen Zuflucht in der Spiritualität, werden sich selbst immer fremder, bis der Drang nach Freiheit und Liebe zum Leben sich durchsetzt und neuen Handlungsspielraum gibt. Für diese Suchbewegungen und inneren Prozesse findet Magén den richtigen Ton. Leidenspornographie verabscheut sie. Ihre Sprache ist metaphernstark und anspielungsreich, die Dialoge sind bisweilen von einer schneidenden Schlagfertigkeit. Die innere Zwiesprache mit G´tt, der oft "wie eine Voodoo-Puppe" benutzt wird für das Abladen von "Tonnen Bitterkeit und Wut", kann bei einer Autorin, die ultraorthodox erzogen wurde und mit dieser strengen Form der Religionsausübung brach, nicht fehlen.
Um zu schildern, wie die plötzlich verwitwete, ihres Kindes beraubte Nava sich allmählich ihrer selbst erhaltenden Kräfte besinnt, erfindet Magén Figuren, die sich entschieden von der Protagonistin absetzen: darunter eine bewusst mitleidlos auftretende Schwägerin, die sich "durch die Welt bewegt, als wäre sie ihre private Küche", eine vergnügungssüchtige, allein erziehende Kassiererin, ein schweigsamer Politologe, der als Tischler arbeitet, nachdem er seine Schwester im Endstadium ihrer unheilbaren Krankheit durch eine höhere Morphiumdosis getötet hatte und auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen worden war, und Senioren, die die junge Mitbewohnerin Nava unverhüllt fragen: "Schämen Sie sich nicht, das Leben zu verachten? Das Leben hat Ihnen etwas weggenommen, na und? Es gibt hier Menschen, die in Lagern waren, Menschen, die 1948 gekämpft haben, wem in diesem Land wurde nicht etwas weggenommen? Wem?"
Zuversicht birgt kein Versprechen. Sie drückt eine gelassene, dem Leben vertrauende Haltung aus. Der Parcours, den Magéns Romanheldin absolviert, ist ein gewundener, überraschungsreicher. Geleitet von Instinkten, glücklichen Zufällen und erotischen Eskapaden findet Nava in ein selbstbestimmtes Leben zurück.
AVIVA-Tipp: Mira Magéns Stärke besteht darin, von Bewährungsproben zu erzählen, die neue Lebensperspektiven eröffnen. Kitschfrei. Ihre Charaktere sind am Ende vom Hochmut der Einzigartigkeit kuriert und akzeptieren, dass "der Mensch aufsteht und fällt, aufsteht und fällt."
"Zuversicht" von Mira Magén wurde von Sigrid Brinkmann auf Deutschlandfunk Kultur: "Lesart" besprochen: www.deutschlandfunkkultur.de (05.03.2018) und uns von Sigrid Brinkmann zur Verfügung gestellt.
Mira Magén
Zuversicht
Originaltitel: Achoto Shel Ha-Nagar, Zmora-Bitan, 2015
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler
Hardcover, 432 Seiten
dtv, München, erschienen am 09.03.2018
ISBN 978-3-423-28151-5
24,00€
Mehr zum Buch: www.dtv.de
Lesung/ Gespräch mit Mira Magén zu ihrem Roman "Zu blaue Augen"
Im Rahmen der Auftaktveranstaltung zu den "Deutsch-Israelischen Literaturtagen"
Organisiert vom Goethe-Institut und der Heinrich-Böll-Stiftung.
Am Mittwoch, 11.04.2018 um 19:30 Uhr
Ort: Deutsches Theater | Kammerspiele
Schumannstraße 13a, Berlin-Mitte
Mira Magén im Gespräch mit Clemens Meyer (tbc) zum Thema "Schöner wohnen".
Begrüßung: Dr. Ellen Ueberschär (Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung) & Prof. Dr. Klaus-Dieter Lehmann (Präsident des Goethe-Instituts)
Moderation: Shelly Kupferberg
Eintritt: 8 Euro/6 Euro erm./3 Euro (Sozialticket).
Mehr Infos: www.goethe.de/literaturtage und www.boell.de/literaturtage
Tickets über: www.deutschestheater.de, Tel.: (030) 28441225 oder an der Abendkasse.
Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:
Mira Magén - Zu blaue Augen
Erneut legt die renommierte, mit dem Preis des Premierministers 2005 ausgezeichnete israelische Schriftstellerin Mira Magén einen Roman vor, der sich dem Leben von Frauen widmet. Dieses mal geht es um die betagte Hannah und ihre drei Töchter, von denen keine den Erwartungen der israelischen Gesellschaft entspricht, Partner_in und Kinder zu haben und täglich das Familienleben zu preisen. Drei Frauen leben schlicht vor sich hin, fast teilnahmslos an ihrer Umgebung und schälen sich langsam aus der Routine heraus, um das Leben neu anzupacken. (2017)
AVIVA-Interview with Mira Magén
The writer Mira Magén was born into an orthodox family in Kfar Saba (Israel) in the 1950s. Her biography shows a rebellious mind: she studied psychology and sociology, was a housewife and mother, had a new profession every five years – teacher, secretary, nurse, and eventually a writer. Magén is amongst the most important writers of Israel. A Selection of her novels and short stories were awarded the Prize of the Prime Minister in 2005, among other prizes. Mira Magén lives in Jerusalem and is also a lecturer at Jerusalem University. AVIVA-Berlin met her in Berlin where she presented her latest novel. (2010)
Mira Magén - Wodka und Brot Ein angesehener Rechtsanwalt bricht seine Karriere ab und arbeitet als Fischer. Seine Frau gibt ihre hochbezahlte Arbeit in einer Bank auf, um im Laden ihrer Eltern Brot, Margarine und Oliven zu verkaufen. Mira Magén beschreibt den Untergang einer Familie und die verschlungenen Wege hin zu einer Versöhnung mit dem Leben. (2012)
Mira Magén - Die Zeit wird es zeigen Breiter gefächert als in ihren früheren Romanen ist die Erzählperspektive im neuen Werk der hoch gelobten israelischen Schriftstellerin. Nicht nur Anna, die 13jährige Hauptfigur, lässt Magén erzählen, sondern auch ihre Eltern Cheli und Mike, deren junger Angestellter Edisso und ihre Tante Sara kommen zur Sprache. (2010)
Mira Magén – Als ihre Engel schliefen
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Wie kommt ein überzeugter Single zu einem Kind? Zohara entscheidet sich für eine Samenspende "auf natürlichem Wege" und führt ein eintöniges Leben als alleinerziehende Mutter. (2003)