Barbara Lüdde und Judit Vetter - Our Piece of Punk. Ein queer_feministischer Blick auf den Kuchen - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur Sachbuch



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 19.04.2018


Barbara Lüdde und Judit Vetter - Our Piece of Punk. Ein queer_feministischer Blick auf den Kuchen
Christina Mohr

Vor mehr als 25 Jahren erschien "Riot Grrrl Revisited", das Manifest der feministischen Bewegung, die aus Punk entstanden war und die männliche Dominanz in der Szene aufbrechen wollte – was ist heutzutage und hierzulande aus den Riot Girls geworden?




Um es gleich vorweg zu nehmen: Riot Grrrlsm lebt! Auch wenn sich natürlich vieles verändert hat: Die politische Situation, das (Selbst-)Verständnis von Punk, die Musik, die Styles – was sich seit Anfang der 1990er Jahre allerdings kaum geändert zu haben scheint ist, dass die Punk- und Autonomenszene überwiegend von Männern geprägt ist. Die Bands, die Aktivisten, Booker, Fans – beinah wie beim Fußball. Oder? Barbara Lüdde und Judit Vetter, engagierte Aktivistinnen in punkto Punk und Riot Grrrlsm treten mit der Unterstützung vieler Beiträger*innen den Gegenbeweis an: Ihr Buch "Our Piece of Punk" zeigt auf, wie viele Frauen, Queers und Trans*Personen in der Szene aktiv sind, was sie unter Punk verstehen und ob der Begriff als solcher heute überhaupt relevant ist.

"Our Piece of Punk" ist ein Mutmach- und Mitmachbuch, feministisches Empowerment par excellence: Die beigelegten Temporary-Tattoo-Bögen sind nicht nur witzige Gimmicks, sondern gleichzeitig Arbeitsproben der beteiligten Comiczeichnerinnen und Illustratorinnen. Das Buch selbst besteht aus Comiczeichnungen, Graphic Novel-Elementen, Interviews, Songtexten, Gesprächen, Erfahrungsberichten – gedruckt auf unterschiedlich farbigen Seiten entsteht ein buchstäblich buntes Abbild einer höchst vitalen Szene, die nichts mit dosenbiersaufenden Typen in den Fußgängerzonen der Städte zu tun hat.

Die in der queer_feministischen Punk- und Riot-Grrrl-Szene aktiven Frauen empowern sich gegenseitig, handeln dezidiert antirassistisch und antisexistisch, erobern sich Räume, die bisher Männern vorbehalten schienen. Die interviewten Frauen berichten von ihren "ersten Malen": zum ersten Mal auf einer Bühne stehen, vor Publikum Musik machen, eigene Texte singen/schreien, sich nicht für eigene Gedanken, Gefühle und den eigenen Körper schämen – und daraus die Kraft ziehen, weiterzumachen und andere zu ermutigen, es selbst zu versuchen. Zum Beispiel als Mischerin oder Bookerin zu arbeiten – und sich gegen männliche Kritik und paternalistisches Verhalten durchsetzen, mansplaining gibt es schließlich überall. Der Punk-Gedanke dabei: Es einfach machen, ausprobieren, nicht denken, frau könne irgendetwas weniger gut. Dass Frauen auch heute noch häufig marginalisiert werden (zum Beispiel aus fadenscheinigen Gründen seltener auf Festivals auftreten, etc.pp), führt zur großen Sensibilität der Akteurinnen: Wer selbst als Außenseiter*in gilt, nimmt andere Außenseiter*innen eher wahr als diejenigen, die immer und überall im Zentrum respektive vorne im Moshpit ihren Platz behaupten – und kann Banden bilden, um sich endlich das eigene Stück vom Punk-Kuchen zu erobern!

AVIVA-Tipp: Schwerpunkt des Buches ist natürlich Punk: die Musik, Texte, politische Haltungen, gesellschaftliche Utopien, ästhetische Konzepte und sexuelle Spielarten, die in "Our Piece of Punk" zum Ausdruck kommen, werden vielleicht nicht jeder Leserin gefallen. Die positive Energie, die aus jeder Zeile dieses Buches strahlt, wirkt jedoch weit über Punk hinaus.

Barbara Lüdde, Judit Vetter (Hrsg.)
Our Piece of Punk. Ein queer_feministischer Blick auf den Kuchen

Ventil Verlag, erschienen März 2018
ISBN 978-3-95575-092-3
160 Seiten, Klappenbroschur mit Temporary-Tattoo-Bögen
20,00 €
Mehr zum Buch und bestellen unter: www.ventil-verlag.de

Our Piece of Punk im Netz: www.ourpieceofpunk.net

MIX Tape - Soundtrack zum Buch zum Download: ourpieceofpunk.bandcamp.com

Zu den Autorinnen/Herausgeberinnen):

Barbara Lüdde
(Gwaendo) ist eine in Hamburg lebende – 1985 in Weimar geborene Zeichnerin. Nach einem abgebrochenen Kommunikationsdesignstudium macht sie nun den Master in Illustration. Ihre Arbeiten sind stark von den Subkulturen, im speziellen der DIY Punkszene und deren Auswüchse, geprägt. Wenn sie die Zeit findet, liebt sie es, Plakate für entsprechende Konzerte zu zeichnen. Täglich ärgert sie sich über Rollenmuster und weitere Beschränkheiten. Doch da sie keine Lust hat sich ständig unnütz zu ärgern und dabei stehenzubleiben, steckt sie dies in ihre Bilder.
Hobbies hat sie keine, doch ihre neue Leidenschaft gilt dem Thai Boxen in einer FLTI* Gruppe.
Mehr Infos: barbaraluedde.com

Judit Vetter lacht, lebt, bastelt und zeichnet im Moment 695 km nördlich von Zureich, nach dem an Wohnorten einiges ausprobiert/besetzt wurde. Geniesst es, schreiend Bass zu spielen, liebt Fahrräder, lungert auf Flohmärkten rum und lässt sich beim […] nicht erwischen.
Judit ist auf Umwegen zum Illustrations-Studium an der HAW Hamburg gekommen, nachdem 2003 eine Berufslehre als Schriftgestalter*in/Werbetechnik zu Ende ging und zwischenzeitlich teils selbständig - teils angestellt – teils unbezahlt gewerkt und unzählige Pakete auf dem Fahrrad von A nach B gebracht wurden.
Mehr Infos: www.illustrationen.jetzt

(Quelle: Verlagsinfos).

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Die Herausgeber und AutorInnen dieses Buches begeben sich auf die Suche nach den Spuren jüdischer Erfahrungen und Identitäten in der Subkultur, vor allem in der Punkmusikbewegung. (2013)

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Noise and Resistance - Voices from the DIY underground - Ein Film von Francesca Araiza Andrade und Julia Ostertag. DVD
"Lärm und Widerstand" ist das Motto eines Dokumentarfilms über die DIY (Do It Yourself) Punk-Szenen in Europa, die sich politisch und aktiv mit ihrer Gesellschaft auseinandersetzen. Anarchie und Punk, das war einmal. Francesca Araiza Andrade und Julia Ostertag führen uns einen Underground vor Augen, der die Mehrheitsgesellschaft in Vielem bereits überholt hat. (2011)

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Steven Lee Beeber untersucht die amerikanische Punkgeschichte mit Blick auf deren jüdische Wurzeln. Dabei stellt er fest, dass diese Musik das Gefühl der ganzen Post-Holocaust-Generation ausdrückt. (2008)

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Beitrag vom 19.04.2018

Christina Mohr