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Beitrag vom 22.11.2018
Judith Wolfsberger - Schafft euch Schreibräume! Weibliches Schreiben auf den Spuren Virginia Woolfs. Ein Memoir
Bärbel Gerdes
Immer noch haben es Frauen, die schreiben wollen, nicht einfach. Sie werden nach wie vor bestenfalls kritisch, oft auch herablassend beäugt. Diese Haltung hat sich in vielen Frauenkörpern und -köpfen eingeschrieben. Die Creative Writing Lehrerin und Autorin Judith Wolfsberger erkundet in ihrem neuen Buch weibliche Schreibräume, um Frauen zu ermutigen und ihnen den Raum zu geben, der ihnen zusteht.
Jane Austen schrieb nebenbei im Wohnzimmer ihrer Familie, Annette von Droste-Hülshoff wurde lächerlich gemacht und junge Wissenschaftlerinnen erfahren auch heute noch Behinderungen und Männerbündnisse, die ihrer Karriere im Weg stehen. Wirkmächtig ist jedoch noch eine weitere Person: The Angel in the House, Sei lieb, sei harmlos, lüge!. Sie ist die innere Stimme, die sich über die Schreiberin beugt und ihr ins Ohr flüstert, sie solle gefallen. Virginia Woolf machte in ihrem Vortrag vor der National Society for Women´s Service am 21. Januar 1931 klar, dass dieser Engel jeder Frau beim Schreiben begegnet, so dass jede Schriftstellerin zunächst zur Mörderin werden muss, ein Mord aus Notwehr, denn Had I not killed her she would have killed me. She would have plucked the heart out of my writing.
Sich selbst das eigene, vor allem freie Schreiben zugestehen, ist wohl der erste Akt auf dem Weg zur Schriftstellerin. Judith Wolfsberger untersucht in ihrem Buch, wie diese Voraussetzung verwirklicht werden kann.
Ausgelöst von dem Film The Hours, der auf Michael Cunninghams Roman basiert, fragt sich Wolfsberger: "Was heißt das, wenn die große Ahnin des weiblichen Schreibens, die Kämpferin für die Sprache der Frauen, für freie Schreibräume, reduziert wird auf eine todessüchtige Halbwahnsinnige"
Denn in dem Film wird das alte Klischee über Woolf aufgebrüht: wahnsinnig, depressiv, verwirrt und traurig, ihr Selbstmord also nur folgerichtig. Wolfsberger empfindet dies als Angriff auf das Schreiben und auf "das Leben aller Frauen, die je schreiben wollten".
So begibt sie sich auf die Spuren der großen Schreibschwester und besetzt dabei gleich drei Schreibräume: das Manifest, das Memoir und biographische Skizzen über Virginia Woolf.
Mit ihrem Partner Paul reist sie nach London, Sussex und Cornwall. Sie finden den Leuchtturm, der im gleichnamigen Roman vorkommt, ein Sehnsuchtsort, unerreichbar, auf einer kleiner Insel, der für all das stand, was im Leben nicht so leicht erreichbar ist. Das unbekannte Land, das frau zu durchkreuzen beginnt, wenn sie die Grenzen der gesellschaftlichen Normen und Erwartungen überschritten hat. Außerhalb davon ist wenig beschriftet. Gerade auch für Autorinnen.
Neben Paul sind zwei Bücher ihre Begleiterinnen: A Room of One´s Own und A Writer´s Diary, jene sehr rudimentäre und subjektive Auswahl von Tagebucheinträgen, die Virginia Woolfs Ehemann Leonard nach ihrem Tod veröffentlichte und in der er den Schwerpunkt auf das Schreiben und die Romane Woolfs legte.
Der erste Teil des Buches thematisiert kenntnisreich die Funktionen des Schreibens für Woolf und wird allmählich persönlicher. Wolfsberger selbst leidet unter dem fehlenden Selbstbewusstsein, sich als Schriftstellerin zu verstehen. Sie möchte unbedingt schreiben, doch die Fragen, ob sie kompetent genug sei, ob sie sich nicht lächerlich mache, ob sie es nicht lieber doch lassen sollte, verhindern das.
Leider wird hier nicht deutlich, weshalb sie unbedingt schreiben möchte und vor allem, worüber denn. So wirkt dieses Begehr etwas – Entschuldigung – attitüdenhaft. Das wird auch nicht dadurch besser, dass die Protagonistin dieses Buches sich plötzlich Orlando nennt.
Wolfsberger malt ein beeindruckend detailliertes Porträt von Virginia Woolf und ihrem Schriftstellerinnen-Sein, aus dem sich dann ihr eigenes Manifest für weibliches Schreiben herauskristallisiert. Die vielfältigen Funktionen, die das Schreiben für Woolf hatte – seien es nun Briefe, Tagebücher, Essays, Romane oder Rezensionen – zeugen von der Über-Lebenswichtigkeit dieses Tuns.
Indem Wolfsberger in unterschiedlichen Ländern Frauen-Schreibkurse und -räume besucht und sich mit Schreiberinnen austauscht, arbeitet sie heraus, dass es Woolf nicht nur um ein Zimmer zum Schreiben und eine bestimmte Summe Geld ging. Vielmehr geht es um eigene Räume, die auch mit anderen geteilt werden können. Zehn Wünsche formuliert Wolfsberger, deren Erfüllung wichtig ist, um das eigene Schreibpotential voll zu entfalten. Neben der ungestörten Zeit an inspirierenden Orten ist dies auch die Möglichkeit, einzutauchen in den Text, abzutauchen in eine andere Welt.
1929 schrieb Woolf A Room of One´s Own, in dem sie davon ausgeht, es würde noch hundert Jahre dauern, bis eine Frau diese Möglichkeiten hat. Betrachten wir die Schreibbedingungen von zum Beispiel J.K. Rowling, die ihren Harry Potter in einem Café schrieb, eine Hand am Kinderwagen, den sie sanft auf und ab schaukelte … damit sie noch eine Seite schreiben konnte, wird es höchste Zeit, dass Wolfsbergers Wünsche umgesetzt werden. Sie plädiert für Workshops und Austausch und erteilt schnellen äußeren Erfolgskriterien eine Absage. Frau müsse sich unabhängig von der Meinung anderer entwickeln. Wolfsberger fordert eine neue gendergerechte Kultur der Schreibstipendien, die die Realität weiblichen Lebens berücksichtige. Mütter, Pflegende, Spät-Starterinnen können nicht von einen Tag auf den anderen alles hinter sich lassen, um sich ausschließlich auf das Schreiben zu konzentrieren oder als Stadtschreiberin für mehrere Wochen an einen anderen Ort ziehen. Ihre Thesen laden zu einer breiten Diskussion ein.
Auch den akademischen Bereich beleuchtet die Gründerin des writer´s studio in Wien, deren erstes Buch Frei geschrieben sich dezidiert damit beschäftigt. Mut, Freiheit und Strategie für wissenschaftliche Abschlussarbeiten lautet der Untertitel dieses Bandes. Wie Frauen und ihr Schreiben in Akademia behindert werden, belegt sie mit eindrucksvollen Beispielen.
Doch ein Wermutstropfen bleibt bei diesem sehr lesens- und bedenkenswerten Buch: ein weiterer Teil - alle interagieren miteinander – besteht im Memoir. Ein Memoir beschränkt sich auf ein ausgewähltes autobiographisches Thema … In einem Memoir geht es immer auch um die Erkenntnisse, die jemand aus Erlebtem zieht, um eine Botschaft der Befreiung, schreibt sie.
Der Text hätte gewonnen, wenn Wolfsberger sich gerade diesen Teil für ihre spätere Schreibtätigkeit und ein weiteres Buch bewahrt hätte. Ihre Liebesgeschichte mit Paul, die Geburt ihres Sohnes, der nur unter dem Namen Beloved firmiert, gerade auch die doch so sehr erzählenswerte Geschichte ihres Familiengeheimnisses gehen unter all den anderen Themen unter. Ihr Hin-und-Her-Gerissensein zwischen New York und Wien interessieren dann doch nicht so, und dass sie sich deshalb in Anlehnung einer asiatisch-amerikanischen Freundin, die sich mit ihrer Mixed Race Childhood auseinandersetzt, als ebenfalls mixed race child bezeichnet, verärgert.
Leicht aufschreien lässt auch, wenn Wolfsberger sich wünscht, dass Frauen über ihre eigenen Erfahrungen als Körper die Wahrheit schreiben können, auch über die traumatischen Geschichten, selbst wenn diese unsexy und uncool seien. Spricht hier aus ihr The Angel in the House?
AVIVA-Tipp: Wolfsbergers Appell Schafft euch Schreibräume! bietet neben Stoff zum Nach-Denken und Diskutieren auch Ideen und Tipps, die sich für jede Schreibende auszuprobieren lohnen. Richtig Lust macht sie darauf, Virginia Woolf wieder zur Hand zu nehmen und sich beeindrucken zu lassen von der Voraussicht, der wunderbaren Ironie und der Klugheit und Berührbarkeit der großen Schriftstellerin.
Zur Autorin: Judith Wolfsberger, wurde 1970 geboren. Sie hat Geschichte und Wissenschaftstheorie in Wien, Rhetoric in Berkeley und Creative Writing in New York und Los Angeles studiert. In Berlin wurde sie zur Schreibtrainerin ausgebildet. 2002 gründete sie das Schreibinstitut writer´s studio mit Schwerpunkt angloamerikanische Schreibdidaktik. Dort und an anderen Institutionen hält sie Schreibseminare u.a. zu Personal Essay, Sachbuch, Memoir, feministischer Schreibpraxis, Visual Diary, verständlichen Sach- & Fachtexten etc. Sie ist Trainerin, Coachin & Expertin für wissenschaftliches, berufliches & freies Schreiben und hat Lehraufträge für wissenschaftliches Schreiben an Fachhochschulen und Universitäten. 2007 erschien ebenfalls im Böhlau Verlag Frei geschrieben - Mut, Freiheit und Strategie für wissenschaftliche Abschlussarbeiten (4., bearb. Auflage 2016). Judith Wolfsberger lebt in Wien.
Mehr zur Autorin: www.virginias-vision.com und writersstudio.at
Judith Wolfsberger
Schafft euch Schreibräume! Weibliches Schreiben auf den Spuren Virginia Woolfs. Ein Memoir
Böhlau Verlag, erschienen am 5.4.2018
292 Seiten, 10 s/w-Abb., gebunden
ISBN 978-3-205-20635-4
29,00 Euro
Mehr zum Buch: www.boehlau-verlag.com
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