Christiane M. Korsgaard - Tiere wie wir. Warum wir moralische Pflichten gegenüber Tieren haben - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur Sachbuch



AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 09.07.2021


Christiane M. Korsgaard - Tiere wie wir. Warum wir moralische Pflichten gegenüber Tieren haben
Silvy Pommerenke

Ist das Leben eines Tieres weniger wert als das eines Menschen? Die Harvard-Professorin Christine M. Korsgaard sagt ganz klar Nein, und schildert in ihrer moralphilosophischen Schrift anhand von praktischen Beispielen, warum nicht.




Die US-amerikanische Philosophin bezeichnet den Umgang der Menschen mit Tieren als "eine moralische Grausamkeit von ungeheuren Ausmaßen". Das Grundgerüst ihrer philosophischen Ethik basiert hauptsächlich auf Immanuel Kants Moralkonzeption (jedes fühlende Lebewesen ist Zweck an sich selbst), Aristoteles Nikomachischer Ethik (die bestmögliche individuelle und kollektive Lebensführung) und Peter Singers Buch "Animal Liberation" (Tiere und Menschen besitzen einen moralischen Status, weil sie Lust und Schmerz empfinden können).

Sukzessive arbeitet Korsgaard die Differenzen von Menschen und Tieren heraus. Im Vordergrund steht dabei, dass der Mensch im Gegensatz zum Tier ein mehr von der Vernunft als vom Instinkt gesteuertes und autonomes Wesen ist, das zu einer Selbstbetrachtung fähig ist, sein Handeln bewertet, über Empathie und Moral verfügt, und der nach Gesetzen handelt, die er sich selbst gegeben hat. Trotz dieser Unterschiede behauptet Korsgaard, "dass es (fast) keinen Sinn ergibt, Kreaturen in einer Rangliste ihrer Bedeutung zu verorten".

Ihre Argumentationskette soll dahin führen, dass der Mensch nicht mehr wert ist als ein Tier, er dem Tier nicht überlegen ist, und dass Tiere einen moralischen Status haben. Der kategorische Imperativ: "Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde", trifft auf Menschen, nicht aber auf Tiere zu. Nichtsdestotrotz hat der Mensch - im Gegensatz zu dem, was Kant behauptete - nicht nur anderen Menschen gegenüber moralische Pflichten, sondern auch Tieren gegenüber. Wobei die "moralischen Beziehungen zu anderen Tieren eine andere Grundlage und eine andere Gestalt als unsere moralische Beziehung zu anderen Menschen" haben.

Korsgaard erläutert die Unterschiede folgendermaßen: Tiere sind den Menschen insofern nicht ebenbürtig, da sie nicht an der Gesetzgebung beteiligt sind, die den zwischenmenschlichen Umgang regeln. Aber nicht nur das, sondern es kann auch nicht erwartet werden, dass sie nach unseren moralischen Gesetzen handeln. Das eigentliche Problem dabei ist laut Korsgaard: "Natur fügt sich keinen moralischen Maßstäben. Wir können unser Handeln der Form des Gesetzes, aber die Natur nicht der Form des Guten unterwerfen".

Ihre Schlussfolgerungen führen zu dem Punkt, dass, wenn die Menschheit aufhören würde Fleisch zu essen, es selbstredend besser für das Klima, für die Artenvielfalt und für die Umwelt wäre. Eindringlich mahnt sie, dass es unsere Pflicht sei, Tiere so zu behandeln, wie es im Einklang mit deren Wohl steht.

AVIVA-Tipp: Nicht nur für Vegetarier*innen und Veganer*innen ist diese moralphilosophische Streitschrift ein wichtiges Buch. Ein liebevoller und respektvoller Umgang mit unseren tierischen Mitlebewesen sollte eigentlich genau so selbstverständlich sein, wie der zwischen Menschen. In beiden Bereichen lässt allerdings vieles zu wünschen übrig. Was wir dagegen tun können, und dass dies alternativlos ist, begründet Christiane M. Korsgaard klug und durchdacht, zeigt aber auch die Grenzen auf, die damit verbunden sein können.

Zur Autorin Christiane Marion Korsgaard: geboren 1952 in Chicago, ist Professorin für Philosophie an der Harvard University, wo sie 1981 promovierte und seit 1991 lehrt. Von Juli 1996 bis Juni 2002 war sie Vorsitzende des Department of Philosophy. Von 2004 bis 2012 Direktorin des Graduiertenstudiums in Philosophie. Davor lehrte sie in Yale, der University of California in Santa Barbara und der University of Chicago sowie als Gastdozentin in Berkeley und der UCLA. Von 2008 bis 2009 war sie Präsidentin der Eastern Division der American Philosophical Association und von 2006 bis 2009 Trägerin des Mellon Distinguished Achievement Award. Ihre Schwerpunkte sind Moralphilosophie und ihre Geschichte, die praktische Vernunft, die Natur der Handlungsfähigkeit, die persönliche Identität, die Normativität und die ethischen Beziehungen zwischen Menschen und anderen Tieren. "Tiere wie wir" erschien bereits 2018 unter dem Titel "Fellow Creatures. Our Obligations to the Other Animals".
Christiane Marion Korsgaard im Netz: www.people.fas.harvard.edu

Christiane M. Korsgaard
Tiere wie wir. Warum wir moralische Pflichten gegenüber Tieren haben

C.H.Beck Verlag, erschienen 03/2021
Aus dem Englischen von Stefan Lorenzer
Originaltitel: Fellow Creatures. Our Obligations to the Other Animals
Originalverlag: Oxford University Press
Hard Cover, 346 Seiten
ISBN 978-3-406-76545-2
Euro 29,95
Mehr zum Buch unter: www.chbeck.de

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