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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 31.05.2017


Prozessende in Istanbul: Brüder von Hatun Sürücü werden freigesprochen
AVIVA-Redaktion

Hatun Sürücü, die sich aus einer Zwangsehe befreit hatte und in Berlin ein selbstbestimmtes und freies Leben führen wollte, wurde von ihrem jüngeren Bruder ermordet – zur Rettung der vermeintlichen Familien"ehre". Seyran Ateş kritisiert das Urteil und äußert Zweifel am Verfahren. Der Prozess gegen die beiden älteren Brüder...




... von denen einer die Waffe besorgt, der andere den Täter begleitet haben soll, endete nach über einem Jahr mit zwei Freisprüchen.

Mord an Hatun Sürücü

Die erst 23 Jahre alte, in Berlin geborene junge Frau mit kurdischen Wurzeln hatte lange gegen die Widerstände aus ihrer konservativ-religiösen Familie gekämpft, um ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Mit 16 Jahren wurde sie von ihrem Vater von der Schule abgemeldet und in Istanbul mit einem Cousin verheiratet. Aus der Zwangsehe konnte sie sich befreien und kehrte alleine nach Berlin zurück. Hier brachte sie ihren Sohn Can zur Welt, holte ihren Hauptschulabschluss nach und absolvierte eine Ausbildung zur Elektroinstallateurin. Am 7. Februar, wenige Tage vor ihrer Gesellinnenprüfung, wurde sie von ihrem damals18-jährigen Bruder Ayhan an einer Bushaltestelle in Berlin-Tempelhof erschossen.

Keine Auslieferung an deutsche Behörden

Ayhan Sürücü, der in Berlin zu neuneinhalb Jahren Jugendstrafe verurteilt wurde, sagte aus, die Lebensweise seiner Schwester habe ihn abgestoßen, und dass er allein gehandelt hätte. Die mitangeklagten Brüder Alpaslan und Mutlu Sürücü wurden wegen Mangels an Beweisen freigesprochen, obwohl die Ermittler_innen davon ausgingen, dass Mutlu die Tatwaffe herbeigeschafft hatte und Alpaslan bei der Tat anwesend war. Dieses Urteil hatte der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung im Jahr 2007 aufgehoben, sodass der Prozess neu aufgerollt werden konnte – allerdings hatten sich die beiden Brüder bereits in die Türkei abgesetzt und wurden trotz Internationalem Haftbefehl nicht an die deutschen Behörden ausgeliefert.

Freispruch in Istanbul: Zweifel am Verfahren

Erst 2013 leiteten die türkischen Behörden ihrerseits Ermittlungen gegen die beiden Sürücü-Brüder ein. Am 26. Januar 2016 begann der Prozess. Heute, am 31. Mai 2017, wurden beide erneut wegen Mangels an Beweisen freigesprochen. Die Hauptzeugin gegen die Angeklagten, Melek A., habe nicht ausfindig gemacht werden können, da sie unter einem Zeug_innenschutzprogramm steht. Die Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ateş äußerte sich hierzu im rbb-Inforadio: "Niemand weiß, ob und welche Anstrengungen unternommen wurden, um sie zu erreichen." Außerdem sei, obwohl die Berliner Staatsanwaltschaft alle Ermittlungsunterlagen inklusive der damaligen Aussage Meleks übermittelt habe, "[...] in der Beweisaufnahme nicht noch einmal nachvollzogen worden, was die Hauptbelastungszeugin gesagt hat."

Gedenken an Hatun Sürücü

An Hatun Sürücü erinnert seit 2008 ein Gedenkstein an der Ecke Oberlandstraße / Oberlandgarten. Dort findet jedes Jahr am 7. Februar unter Beteiligung von TERRE DES FEMMES, dem Lesben- und Schwulenverband Berlin-Brandenburg (LSVD), dem Berliner Arbeitskreis (AK) gegen Zwangsheirat, HEROES und Türkiyemspor eine Kranzniederlegung statt.

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Damit rückt sie Menschen in den Fokus, die sich für Mädchen und junge Frauen engagieren. Zugleich erinnern sie an Hatun Sürücü, die am 7. Februar 2005 von einem ihrer Brüder ermordet wurde, weil sie ein selbstbestimmtes Leben führen wollte. Gedenkveranstaltungen für Hatun Sürücü am 7. Februar in Berlin (2017)

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2016 jährt sich ihr Todestag zum elften Mal. Die junge Berlinerin mit kurdischen Wurzeln wurde 2005 von ihrem Bruder auf offener Straße erschossen, weil sie ein selbstbestimmtes Leben führen wollte. Dilek Kolat: "Todestag von Hatun Sürücü ist Mahnung" (2016)

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