Die Juden sind schuld - Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft am Beispiel muslimisch sozialisierter Milieus - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Public Affairs



AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 03.03.2009


Die Juden sind schuld - Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft am Beispiel muslimisch sozialisierter Milieus
Silvy Pommerenke

Die Amadeu-Antonio-Stiftung hat im Februar 2009 eine Broschüre herausgegeben, in der auf den Zusammenhang von Antisemitismus und Jugendlichen mit Migrationshintergrund eingegangen wird.




Keine Generalverurteilungen

Auf einer Podiumsdiskussion am 23. Februar 2009 im Festsaal Kreuzberg äußerte sich neben Anetta Kahane (Vorstandvorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung) auch Grünen-Chef Cem Özdemir zu der Problematik des Antisemitismus unter MigrantInnen muslimischer Herkunft. Dabei warnte Özdemir vor einer Generalverurteilung von MuslimInnen und plädierte für einen offenen Dialog, denn in seinen Augen würden Feindbilder durch das Verschweigen des Antisemitismus entstehen, nicht durch die Debatte darum. Außerdem sieht der Grünen-Politiker einen Handlungsbedarf in der Pädagogik und im Schulwesen, beispielsweise durch politisch-historische Arbeit, Diversity und Social-Justice-Pädagogik, auch wenn Bildung nicht grundsätzlich ein Garant für demokratische und tolerante Lebenseinstellungen sei. Die weiteren Podiumsgäste schlossen sich diesen Aussagen mehrheitlich an, und wiesen auch – wie Mirko Niehoff von der Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus - auf den Zusammenhang des Nahostkonfliktes, des innerdeutschen Problemes bezüglich der Integration von MigrantInnen und dem verstärkt auftretendem Antisemitismus hin, während Hanne Thoma (American Jewish Committee) verdeutlichte, dass Antisemitismus ein gesamtgesellschaftliches Problem sei, das nicht nur Jugendliche betreffe. Anetta Kahane formulierte hingegen die Situation prägnanter: "It`s all about racism!"

© Foto: Silvy Pommerenke


Zusammenhang von innen und außen

Die knapp hundert Seiten starke Broschüre "Die Juden sind schuld" nähert sich dem Zusammenhang von der deutschen Einwanderergesellschaft und dem neuen Antisemitismus an. Dabei beleuchten die VerfasserInnen die unterschiedlichsten Motive, die den existierenden und aufblühenden Antisemitismus fördern. Es wäre zu einfach, wenn es eine eindeutige Antwort darauf geben würde, und wie so viele gesellschaftliche Konflikte liegen die Ursachen dafür tiefschichtig und weit verstreut. Mit Schuld an dem derzeitigen Problem ist u.a. die mangelnde Integration von Menschen mit Migrationshintergrund in der BRD, denn die eigene erfahrene Diskriminierung wird von vielen dahingehend umgekehrt, dass sie selbst diskriminieren. Durch das Identitätsgefühl der sogenannten "Wir-Gruppen" werden "Die Anderen" ausgegrenzt und bewusst herabgesetzt. Ein Nährboden für Feindbilder, der außerdem von der – spätestens seit 9/11 – einsetzenden Islamophobie und Generalverurteilung von MuslimInnen geschürt wird.

© Foto: Silvy Pommerenke


Neue Bildungskonzepte

Auch die tradierten und unreflektierten Ressentiments halten sich hartnäckig, so glaubt ein Teil des muslimisch sozialisierten Milieus an Verschwörungstheorien, wonach Juden die Weltherrschaft an sich nehmen wollen. Damit einhergehend wird der Nahost-Konflikt instrumentalisiert - auch von deutschen linken Gruppierungen - der zudem durch den Libanonkrieg von 2006 in Deutschland verstärkt spürbar ist, und auch vor hiesigen Schulklassen keinen Halt macht. Die Radikalisierung von zumeist männlichen Jugendlichen, die sich in ihrer Würde angegriffen fühlen, nimmt deutlich zu, so dass der Diskurs kaum noch möglich scheint und die LehrerInnen oftmals überfordert sind. Dennoch geben sich die AutorInnen der Broschüre zuversichtlich, zeigen Konzepte auf, die den Antisemitismus verhindern oder zu bekämpfen helfen, eine friedliche Koexistenz möglich machen und sind sich in den meisten Punkten einig: Es bedarf unterschiedlichster Bildungskonzepte, die unter anderem das jüdische Leben nicht nur auf die Shoa reduzieren und auch die Jugendlichen mit Migrationshintergrund und ihren Ausgrenzungserfahrungen ernst- und wahrnehmen. Dafür ist der Dialog nötig und unermüdliche Bildungsarbeit, wofür aber unbedingt das Vertrauen und die Einsicht der Jugendlichen von Nöten ist. Dies kann nur durch zurückhaltende und interkulturelle pädagogische Arbeit geschehen, die Medienkompetenz vermittelt, Vorurteile abzubauen hilft und vor allem eines ermöglicht: den Jugendlichen die Fähigkeiten zur eigenen differenzierten Meinungsbildung.


Weitere Informationen:

Download der Broschüre: "Die Juden sind schuld" - Antisemitismus in der Einwanderungsgesellschaft am Beispiel muslimisch sozialisierter Milieus (8,6 MB)

Amadeu Antonio Stiftung

Dokumentation der amira-Tagung am 16.09.08: "Du Opfer!" – "Du Jude!" Antisemitismus und Jugendarbeit in Kreuzberg"

Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus

American Jewish Committee

Zentrum Demokratische Kultur

Anne Frank Zentrum

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Beitrag vom 03.03.2009

Silvy Pommerenke