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Beitrag vom 21.03.2012
Laurie Penny - Fleischmarkt
Britta Meyer
Modernen FeministInnen wird oft und gern vorgeworfen, durch einen unnötig aggressiven Habitus ihrer Sache zu schaden und alle Bestrebungen nach Gleichstellung dadurch zu behindern, dass sie ihre...
... Anliegen einfach nicht sympathisch genug vermitteln.
Sie seien auf das Wohlwollen und die Kooperation ihrer – weißen, männlichen, heterosexuellen, gut bezahlten – Mitmenschen in Machtpositionen angewiesen, wenn sie das nächste kleine Bröckchen Gleichbehandlung wirklich haben wollen.
Schließlich müssen wir hier alle an einem Strang ziehen, also seid nett, höflich, macht euch hübsch und lächelt viel!
Wisst ihr was? Fahrt zur Hölle. Ich lese jetzt Laurie Penny.
Sie hält sich in "Fleischmarkt" nicht mit handzahmen, unbedrohlichen Appellen für ein bisschen gerechte Bezahlung, ein bisschen reproduktive Freiheit und ein bisschen männliche Mithilfe im Haushalt auf. Penny wagt einen gründlichen Rundumschlag gegen die spätkapitalistischen Kontrollmechanismen über den weiblichen Körper: die Pornifizierung der Sexualität, Magersucht als Extrem der Unterwerfung, Gewalt gegen Frauen und Transfrauen und häusliche Fronarbeit als kapitalistische Konstruktion.
Ihre Grundaussage ist ebenso simpel, wie radikal: die Art und Weise, in der Frauen heutzutage in den westlichen Industriegesellschaften leben, hat mit Freiheit nicht das Geringste zu tun. Ob sie eine Ausbildung erhalten, ob und wo sie arbeiten, wie sie sich kleiden und zurechtmachen, wie sie Sexualität wahrnehmen und praktizieren. Ob sie ihr sauer verdientes Geld und enorme körperliche Schmerzen in plastisch-chirurgische Eingriffe investieren, wie viel unbezahlte reproduktive Drecksarbeit sie neben dem Job im Haushalt verrichten und ob sie sich zu Tode hungern.
All dies wird uns zwar gern als ganz persönliche Entscheidungen verkauft, die unsere unantastbare Privatsache zu bleiben hat, beruht jedoch auf derselben, sich durch sämtliche Lebensbereiche ziehenden Struktur ewigen Konsums und der doppelmoralischen Bewertung des weiblichen Körpers. Dieser ist mehr denn je eine Ware, die zum Verkauf steht: er soll einem schmerzhaften Schönheitsideal entsprechen und damit die Aussicht auf Sex vermitteln – dieses Versprechen aber nie einlösen, denn der Wert des Kapitals verschwindet, sobald es konsumiert wird.
"Frauen, die auf dem kulturellen Fleischmarkt nicht konkurrieren können oder wollen und sich nicht als sexy verkaufen, haben mit sozialen Konsequenzen zu rechnen. Aber das Übelste, was einer Frau passieren kann, ist, Nutte genannt zu werden", so Laurie Penny über den Umgang einer hypersexualisierten Gesellschaft mit realen SexarbeiterInnen.
Frauen sollen all ihre Kaufkraft in die Optimierung dieses Ideals investieren und ihre hart erarbeitete monetäre Macht für ein paar begehrliche Blicke aus dem Fenster werfen, statt sich tatsächliche Entscheidungsmacht zu sichern und sie in Aktien und Grundbesitz anzulegen. Sie entfernen sich selbst durch radikale Konsumverweigerung in Form der Anorexie vom Angesicht der Erde, auf dass sie mit ihrer anstößigen körperlichen Existenz keinen Raum mehr einnehmen und kein Auge mehr beleidigen.
"Yes, it`s fucking political." (Skunk Anansie)
Penny nimmt sich diese scheinbaren "Privatangelegenheiten" eine nach der anderen vor und zeigt Stück für Stück die immer gleichen Dynamiken eines in jeden Winkel des weiblichen Lebens reichenden, zutiefst körper- und menschenfeindlichen Neoliberalismus` auf. Letztlich werden all diese so genannten Freiheiten der modernen Frau zu einem verzweifelten Lauf im Hamsterrad, ohne dass das Glück, welches sie in Aussicht stellen, je erreicht werden kann:
"Egal, wie viel wir shoppen, vögeln, hungern, schwitzen und uns schminken, um die Zeichen der Müdigkeit und des Unglücks zu verdecken, egal, wie perfekt wir uns unterwerfen, die riesige Mehrheit der Frauen wird innerhalb der Regeln des bestehenden Systems niemals gewinnen. Die kapitalistische Vision des perfekten, weiblichen Körpers ist ein geistloses Grab frigider Zeichen und brutaler Regeln, die unfruchtbar und tödlich sind. Wenn wir leben wollen, müssen wir uns an die Sprache des Widerstandes erinnern."
Wie war das, FeministInnen sollen netter sein, mehr lächeln und sich besser verkaufen? Wir haben soviel besseres zu tun, als das.
Zur Autorin: Laurie Penny, geboren 1986 in London, ist gemäß Selbstauskunft Journalistin, Autorin, Bloggerin, Feministin, Sozialistin, Utopistin, Querulantin und Unruhestifterin. Sie lebt in London, schreibt regelmäßig für den New Statesman, den Guardian und den Independent. Neben "Fleischmarkt" veröffentlichte sie gesammelte Blogbeiträge. (Verlagsauskunft)
Im November 2011 wurde sie für ihre Berichterstattung zur Londoner Occupy-Bewegung als "Truthdigger of the Week" ausgezeichnet.
AVIVA-Tipp: Wer wütend schreibt, muss dies nicht unsachlich tun. Penny`s Argumentationen sind ebenso leidenschaftlich formuliert, wie sie solide recherchiert wurden. Die große Bandbreite der behandelten Themen führt allerdings dazu, dass sie jedes nur viel zu kurz anreißen kann. Trotzdem schafft "Fleischmarkt" es, den Finger auf eine Reihe konkreter Schauplätze der Unterdrückung in einem vorgeblich geschlechterblinden System zu legen.
Laurie Penny
Fleischmarkt. Weibliche Körper im Kapitalismus
Originaltitel: Meat Market. Female Flesh under Capitalism
Aus dem Englischen von Susanne von Somm
Verlag: Edition Nautilus
Erschienen Februar 2012
Deutsche Erstausgabe
Broschur, 128 Seiten
ISBN 978-3-89401-755-2
9,90,- Euro
www.edition-nautilus.de
Weitere Informationen finden Sie unter:
Laurie Penny`s Blog: Penny Red
Truthdigger of the Week: Laurie Penny (truthdig, 25. November 2011)
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