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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 23.12.2010


Ruth Klüger - Was Frauen schreiben
Christiana Puschak

Der weibliche Blick – Ruth Klüger widmet sich den Werken von Frauen aus aller Welt und verschiedenen Epochen. Ihre Zusammenstellung gewährt eine Sicht "aufs Leben durch anders geschliffene Gläser".




Erinnerungen und Wirklichkeit

Berühmtheit erlangte die Literaturwissenschaftlerin und Schriftstellerin Ruth Klüger mit ihrem Erinnerungsbuch, das 1992 unter dem Titel "weiter leben. Eine Jugend" erschien. Es ist ein Buch über ihre verlorene Kindheit und Jugend. In "unterwegs verloren", der Fortsetzung ihres Lebensrückblicks, dokumentiert sie ihren Kampf um Anerkennung als Literaturwissenschaftlerin in einer weitgehend von Männern dominierten Universitätswelt in den USA. Ihr Credo lautet, ehrlich sich selbst und anderen gegenüber zu sein, wenn nötig, in "unerschütterlicher Undankbarkeit" zu verharren.

Neben ihren Erinnerungsbüchern verfasste sie brillante Essays und germanistische Studien wie "Gemalte Fensterscheiben" und "Gelesene Wirklichkeit".

Ruth Klüger vermag es, wider den Strich zu lesen. Dass ein weiblicher Blick auf die Werke männlicher Schriftsteller manches Verdeckte erhellt und über Stereotypisierungen in deren Texten aufklärt, zeigt sie in dem Band "Frauen lesen anders". Dass Frauen anders lesen, liege daran, so Klüger, dass ihr kulturelles Erbe, ihre Schaffensbedingungen und Denkstrukturen anders als die der Männer seien – ein anderes Leben bedinge eben auch ein anderes Lesen. "Frauen finden sich vernunftwidrig mit der Dominanz von maskulinen Elementen in der Literatur ab, resümiert sie in ihrem Essay und setzt alles daran, eben diese Dominanz zu durchbrechen. Kritisch durchleuchtet sie Rahmenbedingungen und Eingrenzungen für weibliches Schreiben, nicht zuletzt auch die Haltung der männlichen Berufskollegen. Weiblichen Stimmen in der Literatur mehr Gehör zu verschaffen, ist eines ihrer Anliegen.

Ein Forum dafür sind auch ihre Buchbesprechungen in der "Literarischen Welt", die nunmehr gesammelt und ergänzt um Rezensionen aus anderen Zeitungen in dem Buch Was Frauen schreiben vorliegen: "Für die Kolumne in der Literarischen Welt konnte ich mir aussuchen, welches Buch ich unter die Lupe nehmen wollte, ich musste nur rezensieren, was ich mit gutem Gewissen den Leserinnen empfehlen konnte."
Gegen die Behauptung, dass Frauen anders schreiben, verwahrt sich Ruth Klüger gleich im Vorwort ausdrücklich: "Autoren sind einmalige Individuen, und alles, was sie erlebt und gedacht haben, mag ihre jeweils einmaligen Schöpfungen beeinflussen, natürlich auch ihr Geschlecht, aber eben nicht nur das." Vielmehr geht es ihr darum, Autorinnen, die noch immer unterschätzt werden, zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen und ihre Werke, in denen Frauen "seltener Nebenpersonen" seien, ebenso wie ihre Einsichten und Erkenntnisse einem breiteren Publikum vorzustellen.

Ruth Klüger wollte nur Bücher vorstellen, die "´total humanistisch´, irritierend, provozierend, subversiv, eigenwillig und intellektuell herausfordernd" sein sollten.
Im Sammelband werden Nobelpreisträgerinnen wie Doris Lessing, Nadine Gordimer und Hertha Müller, weniger Bekannte wie Slavenka Drakulic oder Agota Kristof, Vergessene wie Regina Ullmann und Anfängerinnen wie Yiyun Li oder Nada Awar Jarrar gewürdigt. Die Auswahl ist international. Es geht ausschließlich um Bücher von Frauen, mit einer Ausnahme: Henning Mankell und sein Roman "Daisy Sisters": "Seufzend stelle ich fest, dass manche der Feministen in der Literatur skandinavische Männer sind und waren".

Bei ihrer Auswahl erhalten die LeserInnen Einblick in die Vielfältigkeit von gehobener wie populärer Literatur, wenn Ruth Klüger Märchen und Kinderbücher gleichermaßen präsentiert wie Biografien über Bildende KünstlerInnen, Gesellschafts- und Kriminalromane.
Daher kann es auch nicht überraschen, sie als bekennenden Harry-Potter-Fan zu erleben, denn die Mädchen und Frauen werden nicht in passive Rollen gedrängt, sondern Rowling verteilt die guten und schlechten Erbsen reichlich unter Manderl und Weiberl.

AVIVA-Tipp: Was jede dieser hier veröffentlichten Empfehlungen durch Ruth Klüger auszeichnet und zu einem Unikat werden lässt, ist nicht nur die Einführung in das Leben und Werk der jeweiligen Autorin, sondern auch die Einbindung deren Texte in den literaturgeschichtlichen Kosmos. Wer also einen Überblick über Was Frauen schreiben erhalten möchte, der sei dieser Kanon von Literatur toter und lebender Autorinnen wärmstens empfohlen.

Zur Autorin: Ruth Klüger, geboren 1931 in Wien, wurde in die Konzentrationslager Theresienstadt, Auschwitz und Christianstadt verschleppt. 1947 emigrierte sie in die USA und lehrte Germanistik an der University of Virginia, in Princeton sowie an der University of California in Irvine. Heute lebt sie in Irvine/Kalifornien und Göttingen. Zahlreiche Auszeichnungen, zuletzt Thomas-Mann-Preis der Stadt Lübeck, Roswitha-Preis der Stadt Gandersheim, Lessing-Preis des Freistaats Sachsen. Ihre Bücher (u.a.): "Katastrophen. Über deutsche Literatur" (1994), "Frauen lesen anders" (1996), "Gemalte Fensterscheiben. Über Lyrik" (2007), "weiter leben. Eine Jugend" (1992) wurden in zehn Sprachen übersetzt. 2008 erschien bei Zsolnay "unterwegs verloren. Erinnerungen" und "Was Frauen schreiben" (2010).
(Quelle: Verlagsinformation)

Ruth Klüger
Was Frauen schreiben

Zsolnay Verlag, Wien, erschienen Juli 2010
ISBN 978-3-552-05509-4
Euro19,90
Gebunden, 272 Seiten

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

"AVIVA-Interview mit Ruth Klüger"

"Ruth Klüger – Katastrophen"

"Ruth Klüger - unterwegs verloren"


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Beitrag vom 23.12.2010

AVIVA-Redaktion