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Beitrag vom 02.05.2012
Ida Gerhardi. Deutsche Künstlerinnen in Paris um 1900. Herausgegeben von Susanne Conzen, Hilke Gesine Möller und Eckhard Trox. Bildband und Ausstellung zum Jahrestag am 2. August 2012
Ulrike Wagener
Ihren 150. Geburtstag nahmen Hilke Gesine Möller u.a. zum Anlass, einen Band über Leben und Werk der beeindruckenden Künstlerin zu gestalten. Im Kontext von Arbeiten ihrer Zeitgenossinnen...
...wirft der Band einen Blick auf weibliche Kunstgeschichtsschreibung zwischen Paris und Deutschland.
Im Jahr 1891 verlässt die junge Frau das wilhelminische Deutschland, in dem Künstlerinnen als "Malweiber" verlacht werden, und zieht völlig mittellos in die Metropole Paris. Ida Gerhardi ist auf MäzenInnen wie die Unternehmerswitwe Emilie Elbers-Osthaus angewiesen. Sie ist entschlossen, nach Annette von Droste-Hülshoff die zweite große Frau Westfalens zu werden. Erst in Paris ist es ihr möglich, ein Studium an der Académie Colarossi aufzunehmen, denn in Deutschland war es Frauen bis 1919 verwehrt, öffentliche Hochschulen zu besuchen. In Paris lernt sie die Malerinnen Louise Amans, Henriette de Rège, Ottilie Wilhelmine Roederstein und Augusta Roßmann kennen. Wenig später entwickelt sie eine enge Freundschaft zu Jelka Rosen, die neben Adele von Finck 1902 in Lüdenscheid ihre Ausstellungspartnerin ist.
Der vorliegende Band ist begleitend zur Ausstellung erschienen. Er beschäftigt sich, neben Gerhardis Leben und Werk, ausgiebig mit den Beziehungen zu Künstlerfreundinnen und Förderern. Besonderes Augenmerk wird dabei auf ihre unterschiedlichen künstlerischen Positionen gelegt. So war Gerhardi von Roedersteins Malstil zunächst beeindruckt, distanziert sich jedoch bald von deren Orientierung am herrschenden konservativ geprägten Kunstmarkt. Zahlreiche Abbildungen zeigen ihre Entwicklung, sowie Einflüsse und Abgrenzungen der Künstlerinnen untereinander.
Ein spannendes Kapitel des Bandes ist den Netzwerken zwischen Berlin und Paris um 1900 gewidmet.
Kollwitz zieht im gleichen Jahr nach Berlin, in dem Gerhardi sich in Paris niederlässt. Doch vernachlässigt sie dabei keineswegs ihre Verbindungen nach Berlin. Sowohl Kollwitz und Gerhardi, als auch Julie Wolfthorn, ebenfalls Studentin der Académie Colarossi, beteiligten sich um 1900 an Ausstellungen der Berliner Secession. Dieses 1898 gegründete Forum der Moderne-Diskussion trieb den deutsch-französischen Kulturaustausch maßgeblich an. Doch trotz dieses Austausches gibt es Hindernisse. Gerhardi wird in Paris als Zugezogene angesehen, die nur in kollegialen Kreisen (deutscher) Künstlerinnen verkehrt. Obwohl es zeitweise so schien, als würde ihr "Schiffchen in Deutschland mehr schwimmen" wird sie in der dortigen Kunstszene mehr als Gast wahrgenommen.
Um 1904 sind Gerhardi und die fünf Jahre jüngere deutsche Künstlerin Käthe Kollwitz Zimmernachbarinnen in Paris. Gerhardi schreibt dazu: "Käthe Kollwitz ist sehr nett u. der Kreis, in dem ich augenblicklich verkehre, außergewöhnlich intelligent u. begabt." Sie begannen, statt der üblichen Naturmotive, Eindrücke aus Tanz- und Kellerlokalen, Straßenszenen und Liebespaare darzustellen. Gerhardi malte zu dieser Zeit überwiegend Tanzbilder. Um Geld zu verdienen, übernahm sie, wie die meisten ihrer Kolleginnen, Portraitaufträge.
Am 4. November 1905 wurde der Lyceum Club Berlin gegründet. Gerhardi war ein Mitglied der ersten Stunde und profitierte von dem Konzept seiner Gründerinnen, als unterstützendes Organ für künstlerisch und wissenschaftlich tätige Frauen zu wirken, und diesen durch Veröffentlichungs- und Ausstellungsmöglichkeiten ein Forum zu bieten. Der Lyceum Club ging jedoch über eine rein künstlerische Vereinigung hinaus. Er vereinte die Frauen des Berliner Bildungs- und Wirtschaftsbürgertums mit der weiblichen Intelligentia auf sozialpolitischer sowie frauenrechtlerischer Ebene. Neben Gerhardi und deren Freundin Käthe Kollwitz waren auch Alice Salomon und Bertha von Suttner seit seinen Anfängen in dem Berliner Club vertreten.
Auch Johanna Arnold, Ehefrau des Unternehmers und bekannten Mäzens Eduard Arnold, gehörte zu den weiblichen Förderern des Lyceum Clubs. Schon bald begannen sie, unterstützt von den Berliner Museumsdirektoren Hugo von Tschudi und Wilhelm von Bode, eine Privatsammlung aufzubauen. Tschudi, der Gerhardi während eines Parisaufenthaltes kennenlernte und bis zu seinem Tod 1911 in regem Kontakt mit ihr stand, vermittelte ihr den Auftrag für die Arnolds eine Kopie der Olympia von Manet anzufertigen. Diese Arbeit löste im Lyceum eine brennende Diskussion um Gerhardis "künstlerische Erziehung" aus, überzeugte jedoch den Auftraggeber und verschaffte ihr damit eine sichere Einkommensquelle.
Ausstellungen "Ida Gerhardi. Deutsche Künstlerinnen in Paris um 1900"
Gezeigt werden die Werke Ida Gerhardis in einer Zusammenschau mit rund 40 Gemälden und Graphiken von acht weiteren deutschen Künstlerinnen, die ebenfalls um die Jahrhundertwende zum Studium nach Paris gingen. Neben Arbeiten bekannter Künstlerinnen wie Käthe Kollwitz und Paula Modersohn-Becker werden auch Werke einiger bisher wenig berücksichtigter Malerinnen präsentiert: Adele von Finck, Annemarie Kirchner-Kruse, Ottilie Wilhelmine Roederstein, Jelka Rosen-Delius, Maria Slavona und Julie Wolfthorn.
Die vollständige Ausstellung wird bis zum 15. Juli 2012 in Lüdenscheid gezeigt. Ein Kernbestand der Ausstellung wird von September bis Dezember 2012 im Landesmuseum für Kunst- und Kulturgeschichte in Oldenburg zu sehen sein.
AVIVA-Tipp: Mit dem Band "Ida Gerhardi. Deutsche Künstlerinnen in Paris um 1900" ist es den HerausgeberInnen gelungen, eine neue Perspektive auf die Kunstszene aus weiblicher Sicht zu entwerfen: Warum lebten viele deutsche Künstlerinnen der Zeit in Paris? Wie waren ihre Beziehungen untereinander und wie haben sie sich gegenseitig beeinflusst oder unterstützt? Wie reagierte der Kunstmarkt auf den Versuch weiblicher Malerinnen, sich international durchzusetzen? Diese Fragen und noch mehr beantwortet dieser Band umfassend und sensibel.
Die AutorInnen: Texte von Hilke Gesine Möller, Annegret Rittmann, Rainer Stamm, Gora Jain, Barbara Rök, Heike Carstensen, Edward E. Rowe, Ulrike Wolff-Thomsen, Kathrin Umbach und Susanne Conzen.
Ida Gerhardi. Deutsche Künstlerinnen in Paris um 1900
Herausgegeben von Susanne Conzen (Kuratorin), Hilke Gesine Möller (Initiatorin), Eckhard Trox.
Hirmer Verlag, erschienen März 2012
www.hirmerverlag.de
22,5 × 28,5 cm Gebunden, 252 Seiten, 68 Tafeln in Farbe, 6 in Schwarz-Weiß, 38 Abbildungen in Farbe und 29 in Schwarz-Weiß
Kurzbiographien der Künstlerinnen, Abbildungsverzeichnis und ausgewählte Literatur im Anhang
ISBN: 978-3-7774-4791-9
39,90 Euro
Weitere Infos unter:
www.ida-gerhardi.de
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"Paris bezauberte mich". Käthe Kollwitz und die französische Moderne von Hannelore Fischer und Alexandra von dem Knesebeck (Hrsg.)
"Die Malweiber" 42 Malerinnen-Portraits von Katja Behling und Anke Manigold
"Und ob es sie gab - Impressionistinnen"
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