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Beitrag vom 24.03.2016
Sarit Yishai-Levi. Die Schönheitskönigin von Jerusalem
Magdalena Herzog
In ihrem Debütroman erzählt die Schauspielerin und Journalistin die Geschichte einer seit Jahrhunderten in Jerusalem ansässigen sephardischen Familie. Besonders dem deutschen Publikum wird...
... damit eine neue Perspektive auf diese besondere Stadt und seine frühen jüdischen Einwohner_innen eröffnet.
Die verfluchten Frauen
Die Ausgangsfrage des Romans stellt die pubertierende Gabriela im Jerusalem der späten 60er Jahre: trifft der Fluch auch sie, der auf den Frauen ihrer Familie liegt und besagt, dass diese von ihren Ehemännern nicht geliebt würden? Ihre Großtante Tia Allegra beginnt ihr die Geschichte der Familie Ermoza zu erzählen, aus der ihre Mutter Luna, die Schönheitskönigin von Jerusalem, stammt.
Was nun folgt ist eine höchst ausführliche und bittere Familiengeschichte sephardischer Händler in Jerusalem. Vom Palästina unter britischem Mandat bis zur Staatsgründung über die Kriege in den 1950er Jahren können wir hier und da die Entstehung Israels verfolgen, zu denen vor allem die Protagonistinnen Rosa und Rachelika ins Verhältnis gesetzt werden. Gekleidet ist dies in den engen Handlungsrahmen einer Familie und in dramatische Gefühle, die doch bald im Zwang traditioneller und patriarchaler Familienstrukturen erstickt werden. Erst Gabriela kämpft für ihr Glück als Frau.
Wiederkehrendes Unglück und Bitterkeit
Über drei Generationen werden unerfüllte Liebe, Ehe, Mutter-Tochter und Vater-Tocher-Beziehungen entfaltet und während sich die politischen und gesellschaftlichen Bedingungen gravierend verändern, wiederholt sich in der Familie Ermoza das Glück und Unglück in jeder Generation auf die gleiche Weise. Zwei Generationen von Männern – Rafael und Gabriel – werden mit Frauen verheiratet, die sie nicht heiraten wollen, denn eine Verbindung mit der jeweils atemberaubenden Erwählten, einer Ashkenasin ist unmöglich. Gabriel wird von seiner Mutter durch die Ehe mit der wenig ansehnlichen und bettelarmen Rosa bestraft.
Die Erzählperspektive wechselt und gibt gleichermaßen den unglücklichen Männern eine Stimme, die ihr Leben lang der verpassten Liebe nachtrauern und den Frauen, die sich vor Sehnsucht nach Zuneigung zermatern. Diese nämlich lieben ihre Ehemänner, fühlen sich allein und entwickeln nur wenig liebevolle Gefühle für ihre Kinder. Die Töchter werden anstelle der Ehefrau abgöttisch geliebt und die Mütter entwickeln neidvolle Gefühle gegenüber den Kindern – eine jeweils gestörte Beziehung zwischen Töchtern und Müttern ist vorprogrammiert. Die weiblichen Hauptfiguren Merkada, Rosa und Luna, die gänzlich auf ihr Mutterdasein reduziert werden, entwickeln sich zu bösartigen und gleichzeitigen bemitleidenswerten Persönlichkeiten.
Die Schönheitskönigin Luna
Luna ist die Tochter von Gabriel und Rosa. Ihr Heranwachsen steht für zwei Drittel im Zentrum der Handlung: Wie sie ihre Mutter verabscheut, den Vater vergöttert, die Eltern gegeneinander ausspielt und als Ehefrau selbst damit konfrontiert ist, mit dem Unwissen über Sexualität, der damit einhergehenden Scham und dem daraus entstehenden Unglück. Die spät geborene Tochter Gabriela ist ihr fremd, ihr kindliches Dasein und das Spielen im Dreck versteht sie nicht, der gute Kleidung und feines Auftreten Lebenselixier ist. Was psychologisch hochinteressant ist, entfaltet sich jedoch hier längst nicht mehr als spannend, denn die gleichen Mechanismen wurden bereits für die vorangegangene Generation beschrieben. Spätestens an diesem Punkt wäre weniger erzählender Epos und mehr tiefgehende Analyse aufregend gewesen, denn Luna sticht heraus unter den Frauen: zwar will sie das, was sie wollen soll, nämlich Ehefrau und Mutter werden, doch gleichzeitig genießt sie weder das eine noch das andere. Vielmehr birgt sie in sich die unausgesprochene Sehnsucht nach einem freien Leben, in dem sie selbst bestimmen darf.
Eine Familiengeschichte, die erzählerisch stark, psychologisch jedoch schwach ist
Es ist eine neue Perspektive auf die sephardische Geschichte in Palästina und Israel, denn die ashkenasiche Erzählung ist doch nach wie vor die dominante – zumindest in Deutschland. Die spaniolischen Begriffe - die Sprache der Sefaphard_innen - tragen dazu bei, in diese Atmosphäre einzutauchen. Die Handlung zieht die Lesenden durch die detaillierte Beschreibungen der Umgebung und der ProtagonistInnen in ihren Bann. Doch spätestens nach zwei Dritteln des stattlichen Romans wirken Handlung und Figuren all zu starr, denn sie unterliegen keiner Entwicklung. Die Väter sind unglücklich, jedoch stets diszipliniert und respektvoll gegenüber ihren Ehefrauen, die sie verabscheuen. Die Frauen halten bestens den Kodex der guten Ehefrau ein, beschweren sich niemals und zwingen ihre Töchter in das gleiche Korsett, in das sie selbst eingeschnürt sind. Sie sind dargestellt als Hüterinnen der patriarchalen Systems, unfähig und unbegabt, etwas anderes zu tun, als von ihnen verlangt wird. Dies kann nur als Antwort auf die Frage nach dem Fluch verstanden werden, denn dieser verbannt sie in die Passivität. Die einzig nicht in Zweifel gezogene Frau – selbst die Töchter folgen zeitweilig nicht Vaters Vorstellungen – ist das geliebte Mädchen, das man nicht heiraten durfte. Doch auch sie wird in Augen von Gabriel wortwörtlich zur Hure, als er sie Jahrzehnte später untergehakt bei einem Engländer sieht.
Die Gleichmäßigkeit familiärer Strukturen sind einerseits bildreich dargestellt, doch andererseits fehlt ihnen die Schärfe, Kälte und Tiefe in der sprachlichen Darbietung. Der Weg, den Gabriela geht, um dem Fluch zu entkommen, erhält nur wenig Raum. So kann das Erstlingswerk von Sarit Yishai-Levi eher als ein märchenhafter Epos als eine psychologische und frauengeschichtliche Analyse verstanden werden.
AVIVA-Fazit: So spannend und zweitweise mitreißend jede/r Einzelne der Ermozas ist, so ermüdend ist der letzte Teil des Romans, da sich die Mechanismen minimal verändert wiederholen und auch sprachlich unverändert verarbeitet werden. So hat die Leserin das Gefühl, Formulierungen bereits mehrmals gelesen zu haben und obwohl der politischen Situation des Landes eine präsentere Position in der Handlung eingeräumt wird, ist das Verhalten der Protagonist_innen all zu stark vorhersehbar.
Auch die Übersetzung liest sich streckenweise schräg, denn es werden Formulierungen genutzt, die nicht in die Zeit der Handlung passen und wirft die Lesenden aus der Atmosphäre der Geschichte.
Zur Autorin: Sarit Yishai-Levi, wurde 1947 in Jerusalem geboren, wo ihre sephardische Familie bereits seit Generationen lebte. Sie studierte Schauspiel am Nissan Nativ Acting Studio und an der Tel Aviv University und trat im Theater wie im Film auf. Als Journalistin war sie als Korrespondentin für verschiedene israelische Zeitungen tätig wie Monitin, HaOlam HaZeh and Hadashot. Gegenwärtig ist sie Korrespondentin für das Magazin Olam Ha´Isha und gibt eine Fernsehsendung im Bereich Tourismus und Lifestyle. Ihr Roman "Die Schönheitskönigin von Jerusalem" erhielt den Gold und Platinum Preis der Publishers Association´s 2014 und ebenfalls 2014 den Steimatzky Preis für das bestverkaufte Buch. 108 Wochen stand das Werk auf den israelischen Bestsellerlisten. Momentan wird das Buch verfilmt.
Quelle: www.ithl.org.il
Zur Übersetzin: Ruth Achlama, geboren 1945 in Quedlinburg, aufgewachsen in Mannheim. Achlama studierte Judaistik am Hebrew Union College in Cincinnati, in Heidelberg Jura, und arbeitete bei einer Kanzlei in Tel Aviv. Ab 1979 widmete sich Ruth Achlama dem Übersetzen. Zu den meist übersetzten AutorInnen gehören Amos Oz, Abraham B. Jehoschua, Meir Shalev, S. Yishar, Yoram Kaniuk, Ronit Matalon und Ayelet Gundar-Goshen. 1995 erhielt sie den Paul-Celan-Preis und 2015 den Deutsch-Hebräischen Übersetzerpreis.
Quelle: www.achlama.co.il
Sarit Yishai-Levi
Die Schönheitskönigin von Jerusalem
Originaltitel: Malkat Ha-Yofi Shel Yerushalayim
Aus dem Hebräischen übersetzt von Ruth Achlama
Aufbau Verlag, erschienen März 2016
Gebunden mit Schutzumschlag, 618 Seiten
Preis: 22,95 Euro
ISBN: 978-3-351-03631-7
www.aufbau-verlag.de
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