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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 28.05.2010


Ines Sonder - Lotte Cohn. Baumeisterin des Landes Israel
Adriana Stern

Lotte Cohn war in mehr als einer Hinsicht Pionierin. Sie war nicht nur eine der ersten Architekturabsolventinnen in Deutschland überhaupt, sie war auch die erste graduierte Architektin im Land...




... Israel, zählte zu den ersten deutschen EinwanderInnen der dritten Alija in Palästina und zu den ersten, die 1925 die palästinensische Staatbürgerschaft annahmen.

"Eigensinnigkeit und Stolz auf seine jüdischen Wurzeln, darin waren sich Lotte Cohn und ihre Geschwister einig, gehörten wohl zu den herausragendsten Eigenschaften ihres Vaters Bernhard Cohn." Es war der Antisemitismus, der Zeit seines Lebens, auch schon lange vor dem Ersten Weltkrieg deutlich spürbar, die gesamte Familie Cohn zu überzeugten ZionistInnen machte.

Vor allem ihrem Vater, einem "self-made Zionisten", wie ihn seine Kinder später nannten, verdanken Lotte Cohn und ihre beiden Schwestern, die ebenfalls lange vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten Deutschland verließen, ihre Liebe zu Israel und der zionistischen Idee Theodor Herzls, mit dem Bernhard Cohn in engem Kontakt stand.
Als erste kehrte im Jahr 1920 Rosa Cohn Deutschland den Rücken zu, Lotte und Helene folgten ihr im Jahr darauf, der Bruder Max Cohn verließ Berlin 1923 und endlich folgte auch die Mutter ihren Kindern 1932 nach Palästina.

Lotte Cohn arbeitete als Architektin fast ein halbes Jahrhundert aktiv am Aufbau Israels mit. Einige Erfahrungen als Architektin hatte Lotte Cohn während des ersten Weltkrieges in Gumbinnen /Ostpreußen beim Wiederaufbau zerstörter Dörfer sammeln können, doch auf das, was in Palästina auf sie zukam, war sie nicht vorbereitet.

Sonder zitiert einen ausführlichen Briefwechsel zwischen ihr und dem Architekten Richard Kauffmann, in dessen Büro Lotte Cohns Arbeit in Israel begann. In Palästina angekommen, so beschreibt Sonder, brauchte Lotte Cohn eine ganze Weile, um sich damit zu arrangieren, dass der Traum von Palästina mit der vorgefundenen Wirklichkeit nicht viel zu tun hatte.
So kämpfte Lotte Cohn mit der mangelnden Infrastruktur und dem niedrigen Lebensstandard, ließ sich davon aber nicht unterkriegen. Sie plante Schulen und Siedlungen für die vielen Kibbuzzim, die sich vor allem nach der zweiten Alija im Land gründeten. Bereits 1931 eröffnete sie als erste Frau Israels in Tel Aviv ihr eigenes Architekturbüro. Sie baute unter anderem das Gewerkschaftshaus in Jerusalem und das Doppelhaus für Gershom Scholem.

Nach 1933 wurde immer klarer, dass in Israel sehr schnell unglaublich viel Wohnraum für die Flüchtlinge aus Nazideutschland und Osteuropa geschaffen werden musste. So entwickelte sie mit Josef Mahrer das Minimum-Haus, das nur aus einem Zimmer mit zwei Bettstellen und einer kleinen Sitzgruppe, einer Küche mit Essecke und einer weiteren Liege, einem Bad mit Dusche und WC sowie einer Terrasse bestand. Dieses Modell war besonders preiswert und sehr schnell zu errichten.
Cohn entwickelte auch andere und größere Bautypen für Familien, die natürlich teurer waren. Sie entstanden für die Flüchtlinge, die mehr Geld besaßen.

Lotte Cohn prägte die Kibbuz-Architektur wesentlich mit und führte in Israel einen sachlichen Baustil mit einer ganz eigenen Funktions- und Formensprache ein.Nicht zuletzt ist es Lotte Cohn und ihren architektonischen Vorstellungen zu verdanken, dass Tel Aviv auch "die weiße Stadt" genannt wird. Besonders in Tel Aviv ist die Handschrift Lotte Cohns unübersehbar. Auch wenn sie nie nach Deutschland zurückkehrte, fühlte sie sich dem eher sachlichen Bauhausstil immer verpflichtet, verknüpfte ihn aber mit von ihr neu entdeckten Elementen der orientalischen Baukunst.
Ines Sonders beschreibt das Leben Lotte Cohns in Israel ausgesprochen detailliert und mit großem biographischem Wissen, das sie sich selbst erst mühsam aneignen musste, da das Lebenswerk Lotte Cohns über drei Kontinente verstreut und niemals zusammenfassend dokumentiert worden ist.

Die letzten 50 Seiten im Buch sind von Lotte Cohn selbst geschrieben. Mit viel Witz, Poesie und eindringlichen Bildern erzählt sie von ihrem Leben in Israel, ihren Hoffnungen, Träumen, Begegnungen und ihrer Liebe zu dem Land ihrer Wahl und der dort lebenden Bevölkerung.

AVIVA-Tipp: Das Buch von Ines Sonder wirkt durch die unzähligen Namen, Fakten und minutiösen Details stark überfrachtet. Aufgrund der Fülle und vielen Querverbindungen zwischen den beschriebenen ZeitgenossInnen Lotte Cohns ist es nicht leicht zu lesen. Dennoch gelingt es Sonder, uns einen berührenden Einblick in das Leben und Werk einer beeindruckenden Frau, ihrer Zeit und den Orten, in denen sie gelebt hat, zu gewähren. Die von Lotte Cohn geschriebenen Seiten sind zudem poetisch, bildhaft und von hoher literarischer Qualität.

Zur Autorin: Dr. Ines Sonders geboren 1964, ist Kunsthistorikerin. Von 1983-1989 studierte sie für das Lehramt an der HU Berlin (Diplom), anschließende Lehrtätigkeit, von 1992-1999 schloss sie das Studium der Kunstgeschichte und Hebraistik/Israelwissenschaften an der HU Berlin (M.A.) an. Von 2000-2003 war sie Stipendiatin der Heinrich Böll Stiftung, von 2001-2004 Kollegiatin des Graduiertenkollegs "Makom. Ort und Orte im Judentum" an der Universität Potsdam. 2004 promovierte sie über die zionistische Gartenstadtrezeption (Dr. phil.) an der Universität Potsdam, 2005 war sie Visiting Research Fellow am Franz Rosenzweig Zentrum für deutsch-jüdische Literatur- und Kulturgeschichte an der Hebräischen Universität Jerusalem und ist seit 2005 wissenschaftliche Mitarbeiterin am MMZ. 2006-2009 erhielt sie eine DFG-Förderung zum Projekt "Lotte Cohn (1893–1983) und die Anfänge deutsch-jüdischer Architektur- und Siedlungskonzeptionen in Palästina/Israel". Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Architektur- und Stadtplanungsgeschichte Israels / Zionismus und Geschichte des Staates Israel / Deutsch-jüdische Geschichte im 20. Jahrhundert (Quelle Moses Mendelssohn Zentrum)

Ines Sonders
Lotte Cohn. Baumeisterin des Landes Israel

Jüdischer Verlag im Suhrkamp Verlag, erschienen: 15.03.2010
Hardcover: 240 Seiten
ISBN: 978-3-633-54238-3
26,80 Euro

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

"Heimatcontainer Fertighäuser in Israel" von Jens Uwe Fischer und Friedrich von Borries

"Der Ort des Judentums in der Gegenwart 1989 – 2002"

"Deutsche jüdische Architekten vor und nach 1933", herausgegeben von Myra Warhaftig

Weiterlesen im Netz:

Deutsche Welle - Bericht über eine Ausstellung zu Lotte Cohn: www.dw-world.de





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Beitrag vom 28.05.2010

AVIVA-Redaktion