Jessa Crispin - Warum ich keine Feministin bin. Ein feministisches Manifest - Aviva - Berlin Online Magazin und Informationsportal für Frauen aviva-berlin.de Literatur Sachbuch



AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 25.02.2019


Jessa Crispin - Warum ich keine Feministin bin. Ein feministisches Manifest
Doris Hermanns

Was im Titel und Untertitel erst einmal widersprüchlich wirkt, klärt sich im Buch schnell auf: Nichts weniger als eine radikale Veränderung wünscht sich Crispin, eine Revolution, die zu grundlegenden Verbesserungen für alle führt.




Mit dem, was heute als Feminismus bezeichnet wird, kann die US-amerikanische Autorin wenig anfangen, weswegen sie den Begriff für sich dann auch ablehnt, was sie in ihrer Einleitung überzeugend erklärt: "Wenn ich mich nicht als Feministin bezeichnen darf, ohne versichern zu müssen, dass ich weder wütend bin noch eine Bedrohung darstelle, dann ist dieser Feminismus ganz bestimmt nichts für mich. Denn ich bin wütend. Und ich stelle eine Bedrohung dar." Diese Wut ist durch das ganze Buch spürbar, aber eben auch ihr großer Wunsch nach radikalen Veränderungen. Und genau darin liegt auch seine Stärke. Es ist endlich wieder ein Buch, in dem nicht so getan wird, als ob alle Feministinnen wären, unabhängig von ihrem eigenen Verhalten, sondern in dem es um gesellschaftliche Verbesserungen für alle geht.

Für Crispin ist klar, dass radikale Veränderungen Angst machen. Der Feminismus, den sie fordert, muss eine umfassende Revolution mit sich bringen. Sie zeigt auf, warum dies nicht mit einem universalen Feminismus, hinter dem alle Frauen stehen, geschehen kann und schon gar nicht durch eine Vermarktung bzw. Verkaufsstrategie, wie es in der letzten Zeit der Fall zu sein scheint wird, denn damit wird er seines Sinnes vollkommen entledigt: "Dabei wurde vergessen, dass etwas nur dann breit akzeptiert wird, wenn es möglichst banal, unbedrohlich und wirkungslos ist."

Crispin erinnert daran, dass Veränderungen immer nur von kleinen Gruppen von Frauen, wie zum Beispiel den Suffragetten, erkämpft wurden. Nicht alle Frauen können oder wollen politisch aktiv werden und ihre Zeit für das Umsetzen feministischer Ziele aufbringen. Das Tragen von rosa Mützen und T-Shirts mit feministischen Aufschriften verändert die Welt nicht.

Problematisch sieht Crispin, dass zahlreiche heutige Feministinnen sich von ihren Vorgängerinnen distanzieren, dass sie deren Arbeiten falsch darstellen oder sie erst gar nicht kennen und nicht sehen wollen, was diese Generationen an Veränderungen erreicht haben. Derzeit soll Feminismus "für alle" sein und soll nur Ziele haben, die niemandem Unbehagen bereiten, "und damit sind die Frauen raus, die für radikale gesellschaftliche Veränderungen eintraten".

Eine reine Selbstbezeichnung als Feministin sieht sie verständlicherweise nicht als radikale Handlung. "Ein Feminismus, in dem sich jeder wohlfühlt, ist einer, in dem jeder aus Eigeninteresse agiert statt im Interesse des Ganzen." Wie Crispin deutlich machte, hat sich dabei der Fokus von der Gesellschaft weg zum Individuum verschoben, geht es nicht mehr um kollektives Handeln und eine gemeinsame Vision, sondern nur noch um Interessenpolitik, die sich auf persönliche Geschichten und Errungenschaften konzentriert. "Eine Frau darf sich jetzt als Feministin bezeichnen, ohne politische oder persönliche Veränderungen an sich vornehmen zu müssen." Für sie sollte es jedoch darum gehen, "eine feministische Philosophie und die Vorstellung dessen, was Moral bedeutet, was es bedeutet, an der Gestaltung der Welt mitzuwirken" zu erneuern, es geht ihr darum, nicht nur etwas zu zerstören, sondern neu aufzubauen.

An diversen Beispielen zeigt Crispin auf, wo es ihrer Meinung nach in der Frauenbewegung schiefgegangen ist, wo ein Schwarz-Weiß-Bild entworfen wurde, in dem sich viele Frauen nicht wiederfinden können. So haben viele Frauen heute zwar die Möglichkeit, ein unabhängiges Leben zu führen, aber es wurden keine neuen Hilfs- bzw. Unterstützungssysteme entwickelt, wodurch viele isoliert leben. Kritisch betrachtet sie auch den Wegfall von Traditionen, an deren Stelle nichts Neues geschaffen wurde, ebenso wie das Anprangern des Verhaltens einzelner Männer. Sie zeigt auf, dass in feministischen Kreisen widersprechende Meinungen oder Gegenargumente häufig als Angriff aufgefasst werden, wodurch wirkliche, produktive Gespräche kaum möglich sind.

Jetzt sei der Zeitpunkt für Veränderungen gekommen, meint die Autorin: Es gibt Frauen, die in Machtpositionen sind, und eben diejenigen, die an den Rändern der Gesellschaft für radikale Veränderungen kämpfen. Diese müssten sich zusammenschließen, um feministische Forderungen durchzusetzen. Auch wenn dies eine durchaus interessante Überlegung ist, die Realität scheint mir doch weitgehend anders auszusehen. Frauen in Machtpositionen haben sich in der Regel an patriarchale Strukturen angepasst, um dorthin zu gelangen, und sehen nur selten die Notwendigkeit, feministische Forderungen umzusetzen. Auch wenn es sporadisch Erfolge gibt, die ich sicher nicht abstreiten möchte, scheint mir dieser Moment noch nicht wirklich erreicht zu sein, wie sich an den heutigen Kämpfen, wie beispielsweise aktuell in Deutschland gegen die Paragraphen 218 und 219 zeigt.

Trotzdem ist es ein Buch, das zahlreiche Fragen aufwirft, Themen aus einem radikalen Blickwinkel beleuchtet und zum Nachdenken und Diskutieren anregt. Denn wenn wir derzeit etwas brauchen, dann sind es politische und gesellschaftliche Strategien und Aktionen, die zu weltweiten Verbesserungen der Lebensbedingungen für alle führen.

AVIVA-Tipp: Es ist sehr erfrischend, endlich mal wieder ein feministisches Buch zu lesen, das sich mit der Gesellschaft als solcher beschäftigt und nicht mit persönlicher Betroffenheit, bzw. Identitäten, in dem es um radikale Veränderungen geht und nicht um Selbstermächtigung, in dem Kritik etwas Wünschenswertes ist und kein Anlass, andere mundtot zu machen.

Zur Autorin: Jessa Crispin geboren 1978 in Kansas, ist Literaturkritikerin, Autorin und Gründerin des Online-Literaturmagazins Bookslut. Sie schreibt u. a. für den Guardian, die New York Times und die Washington Post. Derzeit lebt Crispin in New York City.
Mehr Infos unter: www.bookslut.com

Zur Übersetzerin: Conny Lösch, hat in Frankfurt am Main Anglistik und Philosophie studiert, lebt in Berlin und hat unter anderem Viv Albertine, Gail Jones, Ian Rankin und Jon Savage ins Deutsche übersetzt.

Jessa Crispin
Warum ich keine Feministin bin. Ein feministisches Manifest

Originaltitel: Why I am Not a Feminist. A Feminist Manifesto
Aus dem amerikanischen Englisch von Conny Lösch
Suhrkamp Verlag, erschienen am 2. Oktober 2018
Klappenbroschur. 145 Seiten
ISBN 978-3-518-46899-9
Euro 12,95
Mehr zum Buch: www.suhrkamp.de

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