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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 21.02.2011


Journalistinnenbund e.V. veröffentlicht am 16. Februar 2011 Statement zur Quotendebatte
AVIVA-Redaktion

Noch immer ist der Anteil weiblicher Führungskräfte in Deutschland verschwindend gering, weshalb die Forderungen nach einer Frauenquote lauter werden. Auch der Journalistinnenbund e.V. nimmt ...




... zur Quotendebatte Stellung.

Der Journalistinnenbund e.V. ist der Meinung, dass wichtige Aspekte, insbesondere in Bezug auf die Rolle der Medien in der Debatte um die Frauenquote nicht diskutiert werden. An dieser Stelle veröffentlicht AVIVA-Berlin die Forderung des JB:

Frauenquote rauf, Männerquote runter! Warum den Medien und der Kanzlerin hier eine besondere Rolle zufällt

Quotendebatte - langweilig? Angestaubt? Sogar kontraproduktiv? Oder nicht provokativ genug? Der Journalistinnenbund unterstützt ausdrücklich diejenigen Initiativen, die Frauen mehr Zugang zu den Führungsetagen der Wirtschaft verschaffen wollen. Wir halten - und sei es zähneknirschend - die auch vom Europa-Parlament angestrebte Vorschrift, innerhalb der nächsten fünf Jahre mindestens 30 Prozent der Sitze in Vorständen und Aufsichtsräten an Frauen zu vergeben, für ein längst überfälliges Ausgangsinstrumentarium, um die weibliche Teilhabe am öffentlichen Leben - also auch in Top-Positionen - zu verankern und insgesamt ein gesellschaftliches Umdenken zu beschleunigen.

Wie sich zeigte, wurden freiwillige Verpflichtungen nur von einer verschwindend geringen Zahl von Unternehmen eingehalten - nun muss eine verbindliche Regelung her, die zum Handeln zwingt. Das fordern wir vehement auch für die Führungsetagen der Medien, aber sofort und durchgängig, nicht erst in einem fünfjährigen Trippelschritt. Es geht um mehr, als via Quote für Frauen einen saftigeren Anteil an der Bestandsgröße Macht nebst gut bezahlten Jobs zu erringen - es geht um die Gleichrangigkeit der Geschlechter.

Wir brauchen die Quote als Instrument weil:

  • Frauen rein müssen ins allgemeine Geschehen statt ihr Potenzial auszuschließen
  • allein ihr zahlreicheres in Erscheinung treten deutlicher vermitteln würde, was Frauen schon können und Männer noch selten erproben: sich auf den Job zu konzentrieren - und dennoch nicht den Rest der Welt aus den Augen zu verlieren
  • das Ziel ist, endlich durchzusetzen, Arbeitsleben und Privatheit lebbar miteinander zu verschränken - für beide Geschlechter

    Für uns als Netzwerk mit 450 Medienfrauen gilt es, besonders hervorzuheben, welche Rolle den Medien bei der Diskussion um die Quote zufällt. Wir sind überzeugt, dass die Vermittlung dieses Themas erst dann gelingt, wenn Journalistinnen und Journalisten in ihren eigenen Arbeitsbereichen mit der Geschlechtergerechtigkeit beginnen - gleiche Aufstiegschancen für beide, gleicher Rang in der Berichterstattung. Es muss selbstverständlich werden, dass Frauen als ganz normale Teilnehmerinnen am öffentlichen Leben dargestellt, zitiert, also wahrgenommen werden, nicht nur als Expertinnen für weibliche Lebenszusammenhänge. Ihre Anliegen müssen generell mehr Gewicht in der Berichterstattung haben und als bedeutsam für die gesamte Gesellschaft kenntlich werden - zur Quotendebatte gehören eben auch Themen wie Gender Pay Gap und Vereinbarkeitsfallen.

    Fakt ist, dass es Fortschritte gibt. Insbesondere im Fernsehen sind immer mehr Frauen als Könnerinnen ihres Berufsfachs sichtbar geworden - als Polit-Talkerinnen, Korrespondentinnen, Magazin- und Nachrichten-Präsentatorinnen, Finanzexpertinnen, Sport-Kommentatorinnen, sogar als Comedians. Hier ist also auch ohne Quote ein Durchbruch gelungen. Fakt ist aber auch, dass Frauen trotz dieser scheinbar allgegenwärtigen Präsenz nur selten in die Führungsspitzen vordringen und weiterhin wenig eigene Gestaltungsmacht haben. Nur zwei von neun Intendantensesseln sind von Frauen besetzt, bei der ARD gibt es bisher eine einzige Programmdirektorin. Auch wenn zwei Drittel aller Polit-Magazine von Frauen präsentiert werden, heißt das nicht, dass sie die Macht hätten, etablierte Regeln ihrer Formate umzustoßen. In Diskussionsrunden gilt mehrheitlich die Quote 4:1 - vier männliche Experten, maximal eine Frau, die nicht selten eher als Betroffene denn als Expertin eingeladen ist, meist aber als "Grundmodell Frau" herhalten soll, um für alle Frauen zu sprechen, als hätten Frauen nicht ebenso unterschiedliche Standpunkte wie Männer. Auffälligerweise gilt das auch dann, wenn Frauen die Moderatorinnen sind. Und die Zahl reiner Männerrunden wächst. Das zeigte sich aktuell bei der Berichterstattung über Ägyptens Freiheitsbegehren - bis auf wenige Ausnahmen hatten nur Männer das Geschehen zu deuten, wurden als Politiker, Historiker, Nahost- und Islam-Experten selbst aus bislang unauffälligen Ressorts herbeigerufen, während vereinzelt eine Frau zu Wort kommen durfte, wenn sie als heimgekehrte Touristin oder als Lehrerin an einer ägyptischen Schule befragt werden konnte. Der Ausschluss von Frauen bei der Debatte grundlegender Theorien und Deutungen geht so weit, dass selbst ein gut vorbereitetes philosophisches Gespräch über den Begriff "Heimat" nur unter (vier) Männern ausgetragen wird oder zum Thema Reichtum & Moral fünf Männer aus den Bereichen Politik, Wissenschaft, Unternehmertum bzw. Lottogewinner geladen werden und die einzige Frau in der Runde über ihre Marotten als Millionärsgattin befragt wird - wie jüngst geschehen bei Gert Scobel auf 3sat und bei Sandra Maischberger bei der ARD, aber ähnlich auffindbar auch bei anderen seriösen Sendern.

    Dass auch in den politischen Printmedien - außer bei der überregionalen "taz" mit ihrer fifty-fifty-Quote - kaum Chefredakteurinnen zu finden sind, zeigt nicht nur, dass die vielgeschmähte "gläserne Decke" nach wie vor Frauenaufstieg verhindert. Brennender ist das Signal, dass auch in den Medien die Prinzipien Führung und Deutungsmacht vorrangig Männern zugeordnet werden. Frauen, selbst eine Kanzlerin, gelten immer noch als Ausnahmeerscheinung in Spitzenpositionen wie in der Meinungsführerschaft. Dieses Bild muss sich ändern.

    Der Journalistinnenbund beteiligt sich an der internationalen Erhebung Global Media Monitoring Project (GMMP) und wertet für Deutschland aus, wie oft Frauen an einem festgelegten Stichtag in den Hauptnachrichten der Medien vorkommen. Fazit 2005: 22 Prozent gegenüber 78 Prozent Männer. Steigerung 2010: um 1 Punkt auf 23 Prozent - trotz der Präsenz von Angela Merkel in den Nachrichtenmeldungen. Das unterstellt, dass Frauen nur Unspektakuläres tun - alles nicht erwähnenswert, nachrangig. Tatsächlich aber werden ihre Standpunkte, ihr Handeln und Entscheiden selten einbezogen. An Expertentum mangelt es Frauen jedenfalls nicht. Statistiken belegen seit Jahren, dass sie besser ausgebildet sind als ihre männlichen Mitbewerber, fleißiger, ernsthafter, in ihrer Arbeitsauffassung mehr sachlich orientiert als hierarchisch. Das zu verdeutlichen, obliegt vor allem Journalistinnen und Journalisten. Sichtbarkeit ist wichtig, gibt Orientierung, schafft Vorbilder. Nicht zuletzt könnten auch jene Frauen ermutigt werden, die gemäß der Thesen der Journalistin und Buchautorin Bascha Mika zu "feige" für einen eigenen Aufstiegswillen sind, nach internen Umfragen im Journalistinnenbund jedoch eher die vorgefundenen Arbeits- und Denkstrukturen in Chefetagen für sich ablehnen - oder überbewerten. Je mehr Frauen in Führungsebenen vorrücken, desto mehr Macht hätten sie, selber die Arbeitswelten zu prägen.

    Dazu gehört auch der sorgsame Umgang mit einer gendergerechten Sprache, wofür sich der Journalistinnenbund seit Jahren einsetzt. Schon eine Wortwahl wie "Frauen auf dem Karrieretrip" macht nieder, was unter Männern die ganz normale Lebensplanung beschriebe. Zuschreibungen wie "feministisch", "frauenkämpferisch" werden meistens eingesetzt, um eine einseitige bis lächerliche Haltung zu brandmarken, während doch die Welt, wie sie ist, deutlich eine männliche Signatur trägt, sich demnach überwiegend "maskulinistisch" gebärdet. Not täte in den Medien, die Verschiedenheit von Frauen zu betonen, statt etwa für jede Suche nach einem weiblichen Standpunkt die durchaus prägende Alice Schwarzer zu zitieren oder süffisant von "Zickenkriegen" zu reden, wenn einfach nur unterschiedliche Frauenmeinungen aufeinander prallen.

    Die Einführung der Quote für hohe Wirtschafts-Etagen könnte also wesentlich verstärken, was durch Gleichstellungsbeauftragte in zahlreichen Institutionen und Berufsfeldern bereits eröffnet wurde - immerhin wäre das Signal gesetzt, wie selbstverständlich Frauen auch "ganz oben" mitmischen, statt etwa als Ausnahme- bzw. Alibi-Frau in einer Männerdomäne zu gelten. Diese Schubkraft der Quote müsste insbesondere die Kanzlerin fördern. Ihr eigener Werdegang zeigt zwar, dass sie aus eigener Kraft die Position der Kanzlerin errang. Ihr Einstieg in die erste Führungsrolle als Ministerin gelang aber nur, weil sie in Helmut Kohls Augen eine dreifache Quote bediente: War Frau, war CDU, war aus dem Osten - noch dazu jung, eine Newcomerin, was Kohl ersparte, sich mit für ihn eher unbequemen, verdienten CDU-Frauen auseinander zu setzen. Gerade weil Angela Merkel ein Beispiel dafür ist, dass im Heer der Unbekannten unbezweifelbar qualifizierte Frauen zu finden sind, würde man sie nur suchen, wird sie ihr "Nein" zur Quote für Führungsfrauen noch überzeugend begründen müssen. Männer hingegen sollten schweigen: Ihnen bleibt in den Top-Jobs ja vorerst noch eine Quote von 70 Prozent. Es sei denn, sie erfahren am eigenen Leibe, dass auch für sie das angeblich nur weibliche Privileg der Wahlmöglichkeit besteht. Auch sie könnten sich für die Organisation des Alltags, für Kinder und ein Gemenge aus Beruf und Familienleben entscheiden. Und erkennen, dass die bisherige Unvereinbarkeit von beidem nicht eine individuelle Schwäche der Frauen ist, sondern ein strukturelles Problem, das die Gesellschaft als Ganzes zu lösen hat.


    Nicht allein im Kampf um die Quote

    Seit mehreren Jahren engagieren sich nun schon verschiedenste Initiativen für die Einführung einer Frauenquote in Aufsichtsräten und Vorständen von Unternehmen.
    So initiierte der Juristinnenbund e.V. (djb) im vergangenen Jahr die Aktion "Hauptversammlungen - Aktionärinnen fordern ein",
    Mitglieder des Juristinnenbundes besuchten Hauptversammlungen großer Unternehmen und forderten Erklärungen für den immer noch viel zu geringen Frauenanteil in den Aufsichtsräten ein.
    Auch der Verein FidAR - Frauen in die Aufsichtsräte e.V. kämpft für die Erhöhung des Frauenanteils in deutschen Aufsichtsräten und setzt sich dabei besonders für die Aufnahme einer entsprechenden Verpflichtung in den Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) ein.

    Neue Studie zum Frauenanteil in Führungspositionen

    Der Verband der Vereine Creditreform e.V. veröffentlichte zudem am 18. Februar 2011 eine Studie, welche untersucht, in wie vielen mittelständischen Unternehmen Frauen in Führungspositionen zu finden sind. Wie die Untersuchungen ergaben, sinkt der Anteil der Unternehmen, in denen eine Frau als Unternehmerin bzw. Führungskraft tätig ist, mit der Betriebsgröße. Je höher also die Bilanzsumme des Unternehmens, desto unwahrscheinlicher wird es, auf Führungsebene eine Frau zu finden.

    Quotendebatte in der Politik

    Am 3. Dezember 2010 wurde im Bundestag über einen Gesetzesentwurf von Bündnis 90/Die Grünen diskutiert, der eine Frauenquote von 30 Prozent in deutschen Aufsichtsräten ab dem Jahr 2015 vorsieht. Während sich die Grüne, SPD und Linke geschlossen für eine Frauenquote aussprachen, herrscht in der Regierungskoalition Dissens. Auch in den Reihen von CDU/CSU und FDP gibt es inzwischen Frauen, die für eine Quote plädieren. So hatte Arbeitsministerin Ursula von der Leyen im Januar 2011 ebenfalls die Einführung eines festen 30-Prozent-Schlüssels und Aufsichtsräten und sogar Vorständen gefordert, der notfalls mithilfe von Sanktionen durchgeführt werden sollte. Kanzlerin Merkel stellte sich allerdings gegen die Ministerin und erklärte, der Wirtschaft solle noch einmal die Chance gegeben werden, freiwillig Fortschritte zu erzielen. Diese Fortschritte durch Eigeninitiative hat die Wirtschaft aber in den letzten zehn Jahren nicht erreicht, was deutlich macht, das eine Veränderung ohne Zwang wohl nicht herbeizuführen ist.
    Frauen- und Familienministerin Kristina Schröder hingegen, die sich schon mehrfach gegen die Quote geäußert hatte, hielt es nicht einmal für nötig, der Debatte um den Gesetzesentwurf am 3. Dezember beizuwohnen.

    Weitere Infos zur Quotendebatte finden Sie unter:

    www.Journalistinnenbund.de

    www.spitzenfrauenindenmedien.de

    www.fidar.de

    www.djb.de

    www.tagesschau.de

    Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

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    FidAR - Frauen in die Aufsichtsräte e.V.



    (Quellen: Journalistinnenbund e.V., AVIVA-Berlin, Tagesschau)


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    Beitrag vom 21.02.2011

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