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Beitrag vom 23.05.2018
Interview vom Nürnberger Versicherungscup 2018 mit Andrea Petković
Sylvia Rochow
Die gebürtige Jugoslawin war lange Zeit die beste deutsche Tennisspielerin und begeistert mit ihrer extrovertierten Art Fans weltweit. 2009 gewann sie ihren ersten Titel auf der WTA Tour. Fünf weitere folgten bislang, jedoch auch zahlreiche teilweise monatelange Verletzungspausen. Am Rande des Nürnberger Versicherungscups vom 20. bis 26. Mai 2018 sprach Petković über ihre Kolumne "30–LOVE" im SZ-Magazin, Erfolgsdruck und ihr Leben mit und nach dem Tennis.
Die Darmstädterin hatte von 2008 bis 2011 bereits eine eigene Kolumne in der FAZ, veröffentlichte im Frühjahr 2017 eine Reportage für das Racquet Magazine und berichtet seit neuestem im SZ-Magazin unter dem Titel "30–LOVE" von ihrem Leben als Tennisprofi. Vor ihrem ersten Match in Nürnberg, wo sie 2013 das Finale erreichte, stand die 30-Jährige im Rahmen eines Round-Table-Gesprächs über Ego, Zukunftspläne und Fußballbegeisterung auch AVIVA-Berlin Rede und Antwort.
Nach mehreren Jahren Unterbrechung wieder beim Nürnberger Versicherungscup anzutreten, bezeichnet Andrea Petković als "total schön. Ich hatte mich schon sehr auf Stuttgart Ende April gefreut, sollte da ja Quali spielen, und dann habe ich mich drei Tage vorher verletzt und war nicht nur von der Verletzung total genervt, sondern auch, weil ich dadurch nicht in Deutschland vor heimischem Publikum spielen konnte. Irgendwie sollte es in letzter Zeit wohl nicht sein, aber dafür ist das jetzt hier in Nürnberg etwas Besonderes."
AVIVA-Berlin: Du bist Eintracht Frankfurt-Fan, vor ein paar Tagen stand Dein Team im DFB-Pokalfinale der Männer in Berlin und hat überraschend mit 3:1 gegen Bayern München gewonnen. Wie hast Du das Endspiel erlebt?
Andrea Petković: Ich wurde fast des Hotels verwiesen, weil ich so laut geschrien habe! (lacht) Ich dachte schon, ich muss die Unterkunft wechseln. Ich hatte noch eine Behandlung bei meinem Physiotherapeuten, und ich habe darauf bestanden, dass das bei mir im Zimmer stattfindet, weil ich das Finale unbedingt gucken wollte.
Ihre eigenen Leistungen der vergangenen Wochen betrachtet die aktuelle Weltranglisten-Nr. 103 mit gemischten Gefühlen: "Mitte März bei dem Turnier in Miami hatte ich zum ersten Mal wieder den Eindruck, dass ich gut spiele bzw. dass ich so spiele, wie ich spielen will. Es ist schwierig zu erklären, das war mehr so ein Gefühl für mich, dass ich wieder da bin. Die Verletzung vor dem Porsche Tennis Grand Prix hat mich dann so ein bisschen zurückgeworfen, und ich habe mich daher entschlossen, ein paar 100er (Anm.d.Red.: Turniere im ITF Women´s Circuit, deren Kategorie weniger hoch angesiedelt ist als auf der WTA Tour) zu spielen, um einfach Matchpraxis zu bekommen und, damit Gewinnen wieder etwas Alltägliches wird, nicht das Verlieren. Wenn ich gut spiele, fühlt es sich schon wieder so an wie die Andrea Petković, die mal nah an der Weltspitze dran war, aber wenn ich schlecht spiele, dann ist es immer noch sehr, sehr schlecht, um einfach mal ganz ehrlich zu sein. Oft spricht man ja darüber, dass man auch Matches gewinnen muss, in denen man schlecht spielt, und das habe ich im Moment noch nicht, das fehlt mir eindeutig. Daran muss ich arbeiten, konstanter werden und irgendwie einen Weg finden, zu siegen, auch wenn es mal nicht so läuft."
Offenbar gelingt es der 30-Jährigen auch, sich von früheren Erfolgen wie beispielsweise dem Erreichen des Halbfinals bei den French Open in Paris 2014 oder der Top 10-Platzierung 2015 freizumachen. Durchaus zum eigenen Erstaunen, wie sie gesteht: "Ich war echt überrascht. Ich hätte gedacht, ich habe ein viel größeres Ego. (lacht) Aber mich haben die kleineren Turniere eher an meine Anfänge erinnert und an die Essenz des Sports. Vielleicht war das noch mal so eine Art Startschuss für mich. Die Atmosphäre ist natürlich eine ganz andere, jede kämpft buchstäblich um ihr Leben im ITF Circuit. Es gibt viel weniger Preisgeld, das Hotel wird nicht gezahlt und alles solche Kleinigkeiten. Ich habe zum Beispiel in Cagnes-sur-Mer das Halbfinale erreicht und war bei weitem nicht bei plus minus Null, sondern dicke im Minus, da ich auch noch mit meinem Trainer angereist bin. Das merkt man dann auch auf dem Platz, dass das Tennis natürlich nicht so frei ist wie auf der WTA Tour, wo Du, wenn Du in der 1. Runde verlierst, immer noch ein gutes Gehalt bekommst und damit Deine Kosten einigermaßen decken kannst. Dafür ist die Leidenschaft glaube ich eine ganz andere. Es gibt Blut und Schweiß und Tränen, und für mich war es ganz schön, so wieder an den Ursprung meines Sports zu kommen und mich daran zu erinnern, wie es gewesen ist, als ich 17, 18 war und mich nach oben gekämpft habe. Selbstverständlich ist mir auch klar, dass ich nicht zurück in die Vergangenheit kann, aber ich kann mir ins Gedächtnis rufen, welche Tugenden mich ausgemacht haben, welche Mentalität ich hatte, als ich in den Top 10 gewesen bin und, was mein Profil als Spielerin ist. Sozusagen zurück zu den Wurzeln."
AVIVA-Berlin: Ich habe auch mal etwas zurückgeschaut, auf unser Interview im April 2010. Damals standest Du auf Platz 50 der Weltrangliste, die Berlinerin Sabine Lisicki als beste Deutsche knapp vor Dir. Hast Du den Eindruck, dass die Öffentlichkeit die wahnsinnige Entwicklung, die das Frauentennis in Deutschland seitdem erlebt hat, so richtig wahrnimmt?
Andrea Petković: Ja und nein. Ich glaube, dass Angie (Anm.d.Red.: Kerber) natürlich sehr viel für das deutsche Frauentennis gemacht hat, nachdem sie diese zwei Grand Slam-Titel gewonnen hat, aber ich hätte auch gehofft, dass es noch nachhaltiger wird. Damit meine ich weniger die Fans, sondern ich hatte damit gerechnet, dass das Fernsehen das vielleicht noch mehr aufgreift und wieder mehr übertragen wird. Ich habe tatsächlich das Gefühl, dass, als Eurosport noch die TV-Rechte hatte und ständig Tennis von der WTA Tour lief, die Verbindung zu den Spielerinnen viel stärker war. Da merke ich schon einen riesigen Unterschied, seitdem der Sender nicht mehr überträgt. Im Grunde genommen werden nur noch die Grand Slam-Turniere gezeigt, aber die Australian und US Open laufen bei uns fast komplett in der Nacht. Wimbledon ist im Pay-TV. Das heißt, wir haben nur noch die French Open, und es ist unglaublich schwierig, Tennis so zu etablieren, wenn es nicht im Fernsehen gezeigt wird. Ich weiß, dass die moderne Denkweise darin besteht, alles ins Internet zu bringen, aber ich glaube, dass man damit keine neuen Fans erschließt. Online gehen im Prinzip diejenigen, die sowieso schon TennisliebhaberInnen sind und dort suchen, wo man Angie Kerber gegen Kiki Bertens gucken kann. Es gibt meiner Meinung nach aber viele Menschen, die Tennis gern haben, ab und zu selbst spielen, und vor dem Fernseher hängenbleiben würden, wenn sie da Tennis sehen. Und diese Leute verlieren wir, wenn wir nicht im TV übertragen werden. Da habe ich mir nach Angies Erfolgen mehr erhofft und bin ein bisschen traurig, dass es nicht nachhaltiger gewirkt hat.
AVIVA-Berlin: Gehen Deine eigenen Zukunftsgedanken dann vor allem in Richtung Deiner aktuellen Kolumne im SZ-Magazin oder der Reportage, die Du für das US-amerikanische "Racquet Magazine" geschrieben hast, als Du eine Band auf Tour begleitet hast?
Andrea Petković: Ja, das Schreiben möchte ich auf jeden Fall noch mehr verfolgen und ausloten, wie weit ich da gehen kann. Ich könnte mir durchaus vorstellen, an die Uni zu gehen und das auch zu studieren. Außerdem will ich für eine Weile nach New York und ich möchte auf jeden Fall eine Zeit lang etwas außerhalb meines Sports machen. Ich werde dem Tennis sicher immer treu bleiben und dann auch zurückkommen, aber zwischenzeitlich muss ich mal aus meiner Komfortzone rauskommen, denn bisher war ich mein Leben lang dort, wo ich mich am wohlsten gefühlt habe. Ich glaube, das ist nicht immer gut für einen Menschen. Es ist noch nichts Konkretes, aber in meinem Kopf sind Bilder, wie ich mich selbst nach meiner Karriere sehe, und das hat mir sehr geholfen, mich zu entspannen und Tennis ausschließlich wegen des Tennis´ zu spielen und vielleicht später nicht ganz so schnell in das berühmte tiefe Loch zu fallen. Eigentlich will ich aber gar nicht so viel darüber reden. Ich werde jetzt noch nicht meine Karriere beenden. Das dauert hoffentlich noch ein bisschen. (lacht)
Von der Resonanz auf ihre Texte sei sie dann doch überrascht gewesen, meint die 30-Jährige: "Ehrlich gesagt hat mich das schon ein bisschen geschockt. (lacht) Ich war darauf nicht so vorbereitet. Man muss allerdings sagen, dass die ersten acht Texte schon fertig waren, bevor angefangen wurde, sie zu veröffentlichen, deshalb kam das dann wirklich etwas als Schock. Andererseits bin ich auch froh darüber, dass sich andere Leute von diesen Dämonen, mit denen ich kämpfe, offenbar ebenfalls angesprochen fühlen, sich damit identifizieren können und manche vielleicht eine Art Seelenverwandte in mir finden. Darum versuche ich trotz der großen Resonanz, weiterhin ehrlich zu sein und auch eine gewisse Verletzlichkeit zu zeigen. Das ist das, was ich selbst an JournalistInnen und SchriftstellerInnen am meisten schätze."
Vor allem die eigene Zielgruppe hatte Petković offenbar anders eingeschätzt: "Irgendwie dachte ich, das SZ-Magazin lesen vor allem so die Leute aus meiner Generation, Generation 30+, die vielleicht dieselben Identitätsprobleme haben und die verstehen, wovon ich rede und sich damit identifizieren können," erläutert sie. "Ich hätte nicht erwartet, dass sich ein größeres Publikum angesprochen fühlen würde. Deshalb habe ich sehr spezifisch und mit vielen popkulturellen Referenzen geschrieben, die meine Generation natürlich nachvollziehen kann."
Bis wann sie ihre Zukunft noch im Tennis sieht, lässt die Darmstädterin offen, wenngleich sie sich für 2018 selbst eine Art Ultimatum gesetzt hat, wie sie darlegt: "2017 habe ich immer, wenn etwas nicht gut lief, das Ganze hinterfragt und gedacht, ich sollte vielleicht aufhören, ich will nicht um Platz 100 herumgurken und so weiter. Das hat mich im Endeffekt nach jedem Turnier wieder zurückgeworfen, und dann habe ich mich Silvester hingesetzt, ich war ganz allein, habe ein Glas Rotwein getrunken und habe mich quasi selbst ins Verhör genommen," berichtet Petković vom Jahreswechsel in Brisbane. "Ich habe mir gesagt: O.k. Andrea, stopp jetzt mal. Das nächste Jahr spielst Du jedes Match so gut Du kannst, und egal, auch wenn Du 30 Matches hintereinander glatt verlierst, Du wirst nicht das Ganze hinterfragen, sondern versuchst es bis zum Ende des Jahres und kannst dann immer noch überlegen, was Du wirklich wie willst."
Sollten sich zwischenzeitlich doch mal Gedanken an ein Karriereende einschleichen, ist sie überzeugt, besser gewappnet zu sein als noch in der Vergangenheit: "Es ist für mich etwas leichter als im vorigen Jahr, weil ich jetzt schon angefangen habe, mein Leben nach dem Tennis ein bisschen vorzubereiten oder dabei bin, das vorzubereiten. Dadurch ist ein Karriereende nicht mehr ganz so angsteinflößend, wie es das vielleicht vor einem Jahr noch war. Ich weiß, wie ich mir mein Leben nach dem Sport vorstelle, und das nimmt ganz viel Druck von mir." Petković führt weiter aus, was das Profileben zur Zeit für sie ausmacht: "Das erste Mal in meiner Laufbahn spiele ich jetzt Tennis um des Tennis´ wegen, weil ich den Sport liebe und weil ich mein Leben auf der Tour liebe, und nicht, um irgendjemandem etwas zu beweisen. Ich möchte jedenfalls glauben, dass es auch so geht, und dass man nicht irgendwelche Gründe von außen suchen muss, um sich ganz nach vorne zu spielen."
AVIVA-Berlin: Vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg fürs Turnier und Deine Kolumne!
Weitere Infos zu Andrea Petković unter:
twitter.com/andreapetkovic
www.andreapetkovic.de
sz-magazin.sueddeutsche.de
www.nuernbergercup.de
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Copyright Text und Foto: Sylvia Rochow