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AVIVA-BERLIN.de im April 2024 - Beitrag vom 10.11.2011


Deutsch-iranischer Wirtschaftskongress schmückt sich mit Frauenpower
Britta Meyer

Am 8. November 2011 fand im Seminaris Campus Hotel in Berlin ein Kongress zur Anbahnung zukünftiger Wirtschaftsbeziehungen mit dem Iran statt, an dem auch der iranische Botschafter Sheikh...




... Attar teilnahm. Der zynische Titel der Veranstaltung lautete: "Iranian Women Business Power"

"Es soll in Berlin darum gehen, trotz Sanktionen neue deutsch-iranische Geschäfte anzubahnen", so der Sprecher der STOP THE BOMB Kampagne, Jonathan Weckerle. "Der Titel `Frauen-Power` dient dazu, die Situation der Frauen in der Islamischen Republik und die skrupellosen Geschäftsinteressen des deutschen Mittelstandes propagandistisch zu beschönigen", so Weckerle weiter.

Veranstalter des Kongresses ist die Unternehmensgesellschaft European-Iranian Ventures (EIVENT) in Kooperation mit dem Bundesverband mittelständiger Wirtschaft (BVMW). Der Verband spricht gegenwärtig für ca. 55.000 kleine und mittlere Unternehmen und Selbstständige und sieht sich selbst als"größte freiwillig organisierte Kraft" des deutschen Mittelstandes. Der BVMW pflegt trotz internationaler Sanktionen offen gute und regelmäßige Kontakte zur iranischen Botschaft, um den deutsch-iranischen Handel zu fördern. Mir Durandish, der Vorsitzende der iranischen Auslandsvertretung des BVMW, ist auf dem EIVENT-Kongress als Veranstalter aufgetreten. Die Verbandszeitung des BVMW "Der Mittelstand", berichtet selbst von guten Beziehungen zu Irans Botschafter Ali Reza Sheikh Attar, der HandelspartnerInnen des Regimes "Steuerbefreiungen von bis zu 20 Jahren" in Aussicht stellt. Botschafter Attar ist ein enger Vertrauter Ahmadinejads, Mitglied der Revolutionsgarden und seit vielen Jahren Regimefunktionär. Laut iranischen Oppositionskreisen war Attar während seiner Zeit als Gouverneur der Provinzen Kurdistan und West-Aserbaidschan persönlich für Terror gegen Oppositionelle verantwortlich.

STOP THE BOMB hatte sich an den politischen Beirat des BVMW, dem derzeit unter anderem Wolfgang Gerhardt (FDP), Brigitte Zypries (SPD), Dagmar Wöhrl (CSU) und Cem Özdemir (GRÜNE) angehören, gewandt und sie aufgefordert, den Kongress zu verhindern. Der Bundesverband teilte daraufhin in einer Pressemitteilung mit, weder Veranstalter noch Organisator des Kongresses zu sein und außerdem die diesbezügliche Verwendung seines Verbandslogos ausdrücklich untersagt zu haben. Auf dem Anmeldeformular zum Kongress befanden sich jedoch neben dem Logo von EIVENT auch groß und deutlich das des BVMW.

Die Deutsch-Iranische Handelskammer e.V. reagierte auf die Proteste mit einer eigenen Stellungnahme, in der sie das Iranische Regime als ein Opfer von Diskriminierung skizzierte und forderte: "Wir wenden uns gegen jeden Versuch, legale Handelsgeschäfte mit politisch motivierten Kampagnen von Außenseitern zu diskreditieren, die quasi jede wirtschaftliche oder kulturelle Beziehung mit dem Iran zu skandalisieren sucht, solange diese nicht in ihr eigenes, realitätsfernes Weltbild passt."

Einige, wenn auch bei weitem nicht alle dieser "realitätsfernen" Vorstellungen von den Verhältnissen unter der Herrschaft des Regimes hat die aus dem Iran emigrierte Publizistin, Philologin und Orientalistin Nasrin Amirsedghi in einer Rede während der Proteste vom 8. November aufgezählt:

"In einem Land, wo der Wert einer Frau 50 Kamele beträgt, eine Menschenrechtsanwältin wie Nasrin Sotoudeh zu elf Jahren Haft und 20 Jahren Berufs- und Ausreiseverbot verurteilt wird, weil sie Oppositionelle vertritt, in einem Land, wo Tätigkeiten wie Diplomaten- und Richterberufe für Frauen verboten sind, wo sich Frauen aus Armut zur legalisierten Prostitution gezwungen sehen, wo Geschlechter-Apartheid, Zwangsverschleierung und Kleiderordnung sowie drakonische Strafen wie Steinigung, Auspeitschung und Amputationen der Finger, Hände, Augen, Beine oder Füße per Sharia-Gesetz an der Tagesordnung sind, wo 66 Prozent der Selbstmordversuche von Frauen erfolgen und 41 Prozent von ihnen dabei im Alter von nur 10 bis 19 Jahren sind, in dieser Gesellschaft wird nun für "Iranian Business Women Power" geworben!"

Auch Saba Farzan, eine führende deutsch-iranische Expertin, äußerte sich öffentlich. Sie sagte zur "Jerusalem Post": "Nun wirbt das Regime mit sogenannter `Frauenpower` in der Wirtschaft – einer Frauenpower mit aufgezwungener Verschleierung, Geschlechterapartheid und anderen Formen harter Verfolgung der mutigsten Freiheitsaktivisten Irans. Iranische Frauen werden Löwen genannt, weil sie dieses mittelalterliche Regime aus der vordersten Reihe herausfordern – mit ihrer Courage, ihrem Intellekt und ihrem Selbstbewusstsein. Es würde Deutschlands kleineren Firmen nicht viel abverlangen, klug genug zu sein, um auf diese tragikomische Propaganda-Veranstaltung nicht hereinzufallen und Löwen zu werden, indem sie die brutale Islamische Republik isolieren."

Einige wenige dieser Löwinnen, die für ihren Mut und ihren Willen zur Freiheit einen hohen Preis zahlen müssen sind:

Nasrin Sotoudeh, Rechtsanwältin. Sie wurde Anfang Januar 2011 wegen "Handlungen gegen die nationale Sicherheit", "Propaganda gegen das Regime" und "Verstoß gegen die islamischen Kleidervorschriften" zu elf Jahren Gefängnisstrafe und 20 Jahren Berufsverbot verurteilt.
Farah Vazehan. Sie wurde im Februar 2011 "staatsfeindlicher Aktivitäten" für schuldig befunden, weil sie an Protesten gegen das Regime teilgenommen und Filmaufnahmen der Proteste ins Ausland weitergeleitet hatte. Das Regime verurteilte sie erst zum Tode, aufgrund internationaler Proteste dann zu 17 Jahren Haft.
Shabnam Madadzadeh, Studentin der Pädagogischen Hochschule in Teheran und Mitglied einer Studentenvereinigung. Ihr wurde Zusammenarbeit mit Oppositionsgruppen im Ausland vorgeworfen. Sie wurde über längere Zeit in Isolationshaft gehalten und dort gefoltert. Im Januar 2010 wurde sie zu fünf Jahren Haft verurteilt.
Ronak Safarzadeh, Studentin im Fach Grafik-Design und Aktivistin der iranischen Frauenbewegung. Sie wurde Anfang April 2009 zu sechs Jahren Haft verurteilt, nachdem sie Unterschriften für die "Kampagne für Gleichberechtigung" gesammelt hatte.

AVIVA-Berlin und STOP THE BOMB appellieren an alle LeserInnen:

Schreiben Sie an Cem Özdemir, Brigitte Zypries, Wolfgang Gerhardt und Dagmar Woehrl und an den Vorstand des BVMW. Fordern Sie den Bundesvorstand und seinen politischen Beirat auf, die Geschäftsbeziehungen zur Republik Iran zu beenden und die Werbung für Iran-Geschäfte sofort einzustellen!


Weitere Informationen finden Sie unter:

STOP THE BOMB

STOP THE BOMB auf Facebook

Bundesverband mittelständiger Wirtschaft

www.menschenrechtsverein.org

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Quellen: STOP THE BOMB, EIVENT, Der Mittelstand, Deutsch-Iranische Handelskammer e.V., www.menschenrechtsverein.org, AVIVA-Berlin


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Beitrag vom 10.11.2011

Britta Meyer