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AVIVA-BERLIN.de im März 2024 - Beitrag vom 16.11.2012


EU-Vizepräsidentin setzt in Brüssel Gesetzentwurf zur Quote durch
Britta Meyer

"Geschafft" twitterte Viviane Reding am Morgen des 14. Novembers 2012 in 23 Sprachen. Nach langem Kampf nahm die Europäische Kommission ihren Vorschlag zur Einführung einer verbindlichen...




... Frauenquote in Aufsichtsräten börsennotierter Unternehmen an.


(Quelle: Twitter-Feed Viviane Redings)


Die EU-Vizepräsidentin und Justizkommissarin präsentierte den Vorschlag gemeinsam mit Vizepräsident Antonio Tajani (Industrie und UnternehmerInnentum), Vizepräsident Joaquín Almunia (Wettbewerb), Vizepräsident Olli Rehn (Wirtschaft und Währung), Kommissar Michel Barnier (Binnenmarkt und Dienstleistungen) und Kommissar László Andor (Beschäftigung, Soziales und Integration). Noch am 23. Oktober war Reding mit dem Vorhaben abgelehnt worden.

"Ich werde nicht aufgeben" hatte sie am diesem Abend über Twitter versprochen. Jetzt hängt alles davon ab, ob sie und ihre UnterstützerInnen sich mit dem Entwurf innerhalb der Kommission durchsetzen können. Mit der Annahme des Vorschlags ist nämlich nur die nächste von vielen Hürden genommen: bevor das entworfene Gesetz in Kraft treten kann, muss es zuerst noch vom europäischen Parlament und von den EU-Mitgliedsstaaten angenommen werden.

40 Prozent, Stichjahr 2020, finanzielle Sanktionen und jährliche Berichte

Nachdem alle Versprechen und freiwilligen Selbstverpflichtungen der Wirtschaft und Empfehlungen von Seiten der Europäischen Union nunmehr seit über zehn Jahren nichts gefruchtet haben, macht Viviane Reding jetzt Nägel mit Köpfen: ihr Entwurf für eine verpflichtende europaweite Quote setzt für die Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen ein Minimum von 40 Prozent "für Angehörige des unterrepräsentierten Geschlechts" fest, welches bis zum Jahr 2020 erreicht werden muss. Öffentliche Unternehmen müssen diese Zielgebung aufgrund ihrer wirtschaftlichen Bedeutung und ihrer starken öffentlichen Sichtbarkeit schon bis 2018 erreichen. Alle Staaten der Europäischen Union sollen "angemessene und wirksame Sanktionen" zu fixieren, die einsetzen, wenn die Unternehmen die Anforderungen nicht rechtzeitig erfüllen - Bei Nichteinhaltung drohen den Firmen Strafen, indem Geldbußen verhängt oder die Aufsichtsräte aufgelöst werden. Mitgliedsstaaten, die bereits ein gleichermaßen effizientes Quotensystem etabliert haben, sollen dieses beibehalten dürfen.

Zusätzlich werden alle betroffenen Unternehmen zu jährlichen Berichten über ihre Fortschritte verpflichtet. Eignung und Qualifikation der KandidatInnen bleiben die entscheidenden Kriterien, spezielle Richtlinien sollen sicherstellen, dass Angehörige des jeweils schlechter repräsentierten Geschlechtes nicht "automatisch" in die Gremien berufen werden, um eine Quote zu erfüllen. Bei gleichen Kompetenzen und Qualifikationen werden die Minderheiten bevorzugt, was in fast jedem Aufsichtsrat Europas bedeuten würde, Frauen vor Männern einzustellen: nur jedes siebte Mitglied (13,7 Prozent) im Aufsichtsrat einer börsennotierten europäischen Firma ist weiblich, dies bedeutet seit dem Jahr 2010 einen Anstieg von nur 1,9 Prozent. Um 40 Prozent Frauen, und damit ein halbwegs ausgewogenes Geschlechterverhältnis in den Gremien der Top-Unternehmen zu erreichen, müssten bei dieser Geschwindigkeit noch etwa 40 Jahre vergehen – wenn es unterwegs nicht wieder den einen oder anderen einschneidenden Backlash gibt.

Gegenwind, Unterstützung und inhaltliche Kritik

Bundeskanzlerin Angela Merkel lehnt Redings Vorschlag für eine europaweite Regelung der Quote entschieden ab. Das müsse auf nationaler Ebene geregelt werden, teilte der Pressesprecher der Bundesregierung, Steffen Seibert, am 14. November 2012 in Berlin mit.

Auch Bundesfrauenministerin Kristina Schröder stellt sich erwartungsgemäß gegen eine rechtlich verbindliche Quote. Ihrer Einschätzung gegenüber dem "Wiesbadener Kurier" nach hat die EU in der Frage keine Gesetzgebungskompetenz gegenüber den einzelnen Staaten – ein Einwand, dem Reding die Regelung der Römischen Verträge von 1957 entgegen hielt, in denen festgehalten ist, dass "dass die Union die Zuständigkeit für Gleichstellung hat". Ein Fact Sheet der EU formuliert dies folgendermaßen:

"The EU´s competence to act in issues of gender equality in employment and occupation is based on Article 157(3) TFEU. This provision is the specific legal basis for any binding measures aiming at ensuring the application of the principle of equal opportunities and equal treatment of men and women in matters of employment and occupation, including so-called positive action providing for specific advantages in favour of the under-represented sex."

Der Deutsche Juristinnenbund e.V. (djb) sieht gerade die Bundesrepublik in der Pflicht, gesetzliche Maßnahmen aktiv zu unterstützen:

"Es ist eine grobe Ungerechtigkeit, die Karrierewege je nach Geschlecht zu eröffnen oder zu versperren. Das sieht die deutsche Verfassung anders vor, sie wurde daher mit dem Zusatz zu Artikel 3 Absatz 2 "Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin." versehen. Es ist die Aufgabe des Gesetzgebers, die Wirklichkeit in den Blick zu nehmen und mit geeigneten Maßnahmen auf die Herstellung verfassungs- und rechtsgemäßer Zustände hinzuwirken." so der djb in einer Stellungnahme vom 14. November 2012.

Selbst innerhalb der CDU werden inzwischen Stimmen laut, die sich deutlich Pro-Quote positionieren. Die Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen gilt mittlerweile als eine ihrer entschiedensten BefürworterInnen. Jetzt unterstützen auch die christdemokratischen Bundesländer Sachsen-Anhalt und Saarland den Vorschlag des SPD-regierten Hamburgs, zukünftig mindestens 40 Prozent Frauen in die Aufsichtsräte börsennotierter Unternehmen zu bringen – die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) begrüßte Redings Vorstoß und sagte gegenüber der Nachrichtenagentur dapd, die Umsetzung des Entwurfs stelle für börsennotierte Firmen "keine Überforderung" dar.

Reding musste in ihrem Entwurf jedoch bereits Abstriche machen: ihre Quote soll nur für nicht-geschäftsführende Gremienmitglieder und nicht für die Firmenvorstände selbst gelten. Zudem sind Firmen, die weniger als 250 Angestellte beschäftigen und weniger als 50 Millionen Euro Umsatz erzielen, von der Regelung ausgenommen. Dasselbe gilt für Firmen, bei denen das im Aufsichtsrat schlechter vertretene Geschlecht weniger als zehn Prozent der Angestellten ausmacht. KritikerInnen betonen auch, dass eine Quote, die nur für Aufsichtsräte gelte, keine greifbaren Verbesserungen für Frauen mit sich bringe, da die Gremien, im Gegensatz zu den Vorständen, keinen direkten Einfluss auf die Entscheidungen des Unternehmens habe. Dort sieht es in Punkto Geschlechtergerechtigkeit noch düsterer aus: in Deutschland sind es für die DAX30-Unternehmen immer noch nur 3,7 Prozent.

Zehn der 27 EU-Mitgliedsstaaten, unter anderem Großbritannien, sollen sich bereits gegen den Entwurf positioniert haben, sozialdemokratische und grüne Abgeordnete stehen dagegen hinter Viviane Reding.

Setzt sie sich mit ihrem Entwurf durch, wären europaweit etwa 5.000 Unternehmen davon betroffen.


Weitere Informationen finden Sie unter:

Women on Boards: Commission proposes 40% objective (14.11.2012)

Rede Viviane Reding, "Mapping EU action on Gender Equality: from the Treaty of Rome to Quotas" (08.10.2012)

Women on boards - Factsheet 3. Legal Aspects

Consolidated Version of the Treaty on the Functioning of the European Union

DIW Wochenbericht 3/2012 "Managerinnen-Barometer 2011"

djb begrüßt Vorschlag der EU-Kommission zur ausgewogeneren Vertretung von Frauen und Männern in den Führungsgremien börsennotierter Gesellschaften

Kristina Schröder in der Quoten-taz "Nur Masse bewegt" (16.11.2012)

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

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DJV begrüßt Unterstützung der EU für eine gesetzliche Frauenquote

Journalistinnenbund e.V. veröffentlicht am 16. Februar 2011 Statement zur Quotendebatte

Gutachten zum ersten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung 2011 übergeben - Resonanz und Reaktionen

Zu wenig Vorbilder - Frauen in Führungspositionen 2010

Jutta Allmendinger - Verschenkte Potenziale, Bascha Mika - Die Feigheit der Frauen

Studie des Institut für Demoskopie Allensbach zu Kommunikationsstilen und -welten von Frauen und Männern

Jutta Allmendinger - Frauen auf dem Sprung. Wie Junge Frauen heute leben wollen. Die BRIGITTE-Studie



(Quellen: Europäische Kommission, djb, Handelsblatt, dapd, TAZ, Wiesbadener Kurier)




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Beitrag vom 16.11.2012

Britta Meyer