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AVIVA-BERLIN.de im Dezember 2024 - Beitrag vom 10.11.2013


Hannah Arendt. Ab 10.10.2013 auf DVD und Blu-Ray
Sharon Adler

Unter der Regie von Margarethe von Trotta und mit exzellenten DarstellerInnen wie Barbara Sukowa und Axel Milberg in den Hauptrollen entstand das filmische Portrait der wegen ihrer These der ...




... "Banalität des Bösen" umstrittenen Denkerin Arendt.

Hannah Arendt wurde am 14. Oktober 1906 in Linden bei Hannover geboren und wuchs in einem sozialdemokratischen jüdisch-assimilierten Elternhaus in Königsberg auf. Nach dem Abitur studierte sie Philosophie, Theologie und klassische Philosophie, unter anderem bei Martin Heidegger und Edmund Husserl, in Marburg, Freiburg im Breisgau und Heidelberg und promovierte 1928 bei Karl Jaspers.

Ihre Hinwendung von der Philosophie zum Politischen erfolgte am 27. Februar 1933 beim Reichtagsbrand, im Angesicht der illegalen Verhaftungen, und dem Wissen um die Gestapo-Keller oder Konzentrationslager – das alles bezeichnet Arendt rückblickend in Interviews als "unmittelbaren Schock", von dem Moment an hat sie sich verantwortlich gefühlt, war "nicht mehr der Meinung, dass man jetzt einfach zusehen kann."

Damals in Berlin übernahm sie einen Auftrag der Zionistischen Vereinigung für Deutschland, beginnt, im Untergrund zu arbeiten, wurde verhaftet und mit großem Glück nach acht Tagen entlassen, kann 1933 nach Paris flüchten, gründet die französische Abteilung der Jugend-Alijah und ist als Sozialarbeiterin bei verschiedenen jüdischen Organisationen aktiv. Dort begegnet sie 1936 dem Philosophiedozenten Heinrich Blücher, den sie sieben Jahre später heiratet, und mit dem sie 1941 in die USA emigriert. Am 22. Mai 1941 telegraphiert sie zu ihrem in Kalifornien lebenden Ex-Mann: "Wir sind gerettet" Dort lebte das Paar einige Jahre als staatenlose Flüchtlinge. New York war für sie "ein sehr großes Berlin, wenngleich ich in den letzen Jahren eine eingefleischte Pariserin geworden war."

Hier verfasste sie unter anderem politische Kolumnen für die deutsch-jüdische Exil-Wochenzeitschrift "Aufbau", war Cheflektorin des Salman Schocken Verlags und Direktorin der Jewish Cultural Reconstruction zur Rettung jüdischen Kulturguts. Ihr literarisches Hauptwerk "Origins of Totalitarianism" etablierte sie als eine der bedeutendesten gesellschafts- und politikwissenschaftlichen TheoretikerInnen. Sie hielt Vorlesungen in Princeton, Harvard, New York und Chicago. Man feierte sie, sie war anerkannt.

1961 war sie, die Exilantin, die sich in New York City einen Kreis von BewundererInnen aufgebaut hatte, in Jerusalem für die Zeitschrift "New Yorker" als Reporterin beim Eichmann-Prozess anwesend. Ihr Buch "Eichmann in Jerusalem. Ein Bericht von der Banalität des Bösen." ("Banality of Evil") geriet wegen ihrer radikal-einseitigen Statements stark in die Kritik der traumatisierten Überlebenden der Shoah und führte zu tiefen Streitigkeiten und Zerwürfnissen mit früheren FreundInnen und Bekannten, darunter Gershom Scholem.
Ihm hatte sie 1940 nach dem Selbstmord des gemeinsamen Freundes Walter Benjamin, der auf der Flucht vor den Nationalsozialisten keine Hoffnung auf ein Weiter- und Ãœberleben mehr hatte, noch geschrieben: "Juden sterben in Europa und man verscharrt sie wie Hunde"

Doch noch während des Prozesses (1961) gerät sie in heftige Zweifel vor allem mit sich selbst, die sie öffentlich ausficht. So führt vor allem ihr eigenes Schockiert-Sein über ihre eigene Reaktion angesichts des Zusammentreffens mit Eichmann dazu, die jüdischen Überlebenden der Katastrophe zu diskreditieren. Eichmann nämlich, so führt die Denkerin Arendt in Interviews und Schriften vehement aus, sei ein "Hanswurst", ein langweiliger und blasser Befehlsempfänger. Der jedoch, den sie erwartet hatte, war ein charismatischer Mensch, ein offen erkennbarer Sadist. Die Erkenntnis trifft sie hart, doch statt zu hinterfragen, wie es dazu kommen konnte, dass es ein solcher Beamten-Charakter für den systematisch geplanten Mord and Millionen von Menschen verantwortlich sein kann, versteift sich die Arendt auf eine Rede von der jüdischen "Mitschuld", die vor allem die Menschen verletzt, die sich durch den Prozess erstmals der Öffentlichkeit ausgesetzt sind. Weder Arendt noch von Trotta ergreifen hier die Chance, denen eine Stimme zu geben, die sie erstmals erheben konnten.

Das mausgraue Werkzeug Hitlers setzt die Regisseurin von Trotta mittels Original-Dokumaterial ins Rampenlicht, während sie Arendt selber verklärt, und genau das ist das Manko dieses aufwendig inszenierten Films. Ausschließlich Arendt-KennerInnen werden sich in den Feinheiten deren Denkens zurechtfinden, während sich alle anderen erst nach dem Film näher mit ihrem Werk beschäftigen werden – weil der Film dazu herausfordert – ein Plus.

Doch hier geht es nicht um Gut und Böse, es wäre zu einfach, ein Urteil über Arendt zu fällen, zu komplex deren Denken und Handeln. Doch wer sie nur verurteilt oder bewundert, liegt schief.

Hannah Arendts Denken veränderte die Welt, keine Frage. Ihre gesellschaftspolitischen Schriften über totalitäre Systeme und Demokratie prägen bis heute die Sichtweise auf das 20. Jahrhundert und sind aus unserem Verständnis für politische Zusammenhänge nicht mehr wegzudenken. Ihre Klugheit und analytischen Fähigkeiten können missverstanden oder verstanden werden...Die gefeierte und gehasste Denkerin konnte zum Zeitpunkt ihrer Thesen, der Judenrat sei maßgeblich an der Auslöschung der europäischen Juden beteiligt, noch nichts von Daniel Goldhagen wissen, der mit seiner Untersuchung "Hitlers willige Vollstrecker" ebenfalls die von ihr aufgeworfene These untermauerte, dass ohne die Kollaboration der Bevölkerung der Genozid in diesem Ausmaß nicht möglich gewesen wäre.

Am 4. Dezember 1975 starb Hannah Arendt in New York.

In ihrem neuen Film beschäftigt sich Margarethe von Trotta (Rosa Luxemburg, Die bleierne Zeit, Rosenstraße, Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen) erneut mit einer der Großen unserer Zeitgeschichte, interessiert sich aber nicht nur für das Phänomen Hannah Arendt, sondern vor allem für das private Leben dieser Frau, die sich hinter der unabhängigen Denkerin verbirgt.

Barbara Sukowa (Vision – Aus dem Leben der Hildegard von Bingen) spielt die Hauptrolle der Hannah Arendt, Axel Milberg (Goethe) ihren Ehemann Heinrich Blücher. Als Arendts beste Freundin, die Romanautorin Mary McCarthy, stand die britische Schauspielerin Janet McTeer (oscar-nominiert für Albert Nobbs) vor der Kamera. Als Hannah Arendts wichtige Vertraute Lotte Köhler ist Julia Jentsch (Sophie Scholl – Die letzten Tage) zu sehen. Arendts Freundeskreis, der sog. ´tribe´, setzt sich zusammen aus ihrem Freund aus Heidelberger Studienzeiten Hans Jonas, gespielt von Ulrich Noethen (Der Untergang), ihrem langjährigen Weggefährten Kurt Blumenfeld, gespielt von Michael Degen (Leo und Claire) und Charlotte Beradt, die sich vor allem zu Hannahs Ehemann hingezogen fühlt, gespielt von Victoria Trauttmansdorff (Das Blaue vom Himmel). Hannah Arendts Jugendliebe, der Philosoph Martin Heidegger, wird gespielt von Klaus Pohl (Der gläserne Blick, Das Fremde in mir).
Für die Kamera verantwortlich zeichnete Caroline Champetier, die im vergangenen Jahr mit einem César für den Film Von Menschen und Göttern ausgezeichnet wurde.
Hannah Arendt feierte auf dem diesjährigen Toronto International Film Festival seine Weltpremiere. Die Begeisterung war groß, insbesondere Barbara Sukowa erhielt für ihre Darstellung der Hannah Arendt ´standing ovations´.

AVIVA-Tipp: Auch wenn einige der Thesen Hannah Arendts mehr als fragwürdig sind, so war diese Frau doch mit Sicherheit eine der wichtigsten und scharfsinnigsten DenkerInnen unserer Epoche. Die erklärte Anti-Feministin, die es für überflüssig hielt, andere Frauen oder Frauen generell zu unterstützen und im Clinch mit Simone de Beauvoir stand, schöpfte doch ihre Kraft von ihren Freundinnen, die ihr bis zuletzt trotz allem zur Seite standen. Ganz dicht dran an der Figur Arendts ist schließlich die begnadete Filmemacherin Margarethe von Trotta, der es gelang, alle Facetten dieser außergewöhnlichen Frau einzufangen, auch wenn es ihr nicht immer glückte, alle historischen Fakten abzubilden. Es ist ihr jedoch zugute zu halten, kein glorifizierendes Bild Arendts zu zeichnen, sondern vielmehr eine polarisierende und zerrissene Persönlichkeit authentisch filmisch darzustellen. "Hannah Arendt" – der Film, ist ein absolutes Must für alle, die sich mehr mit der Philosophin, die keine sein wollte, beschäftigen wollen.

Hannah Arendt
Regie: Margarethe von Trotta
DarstellerInnen: Barbara Sukowa, Axel Milberg, Janet McTeer, Julia Jentsch, Ulrich Noethen, Michael Degen, Victoria Trauttmansdorff, Klaus Pohl, Nicholas Woodeson u.a.
Eine Produktion von Heimatfilm
in Co-Produktion mit AMOUR FOU Luxembourg, MACT Productions und Metro Communications
HANNAH ARENDT wird von NFP marketing & distribution in Deutschland und Österreich auf DVD, Blu-ray und als EST/VoD veröffentlicht, im Vertrieb von EuroVideo.
DVD: Softbox im Schuber, Single Disc, DVD 9
BD: Softbox, Single Disc, BD 50
Inhalt: Hauptfilm
Bonus: Behind the Scenes, Deleted Scenes, Audiokommentar von Margarethe von Trotta, Booklet mit Hintergrundinformationen, Kinotrailer.
DVD und Blu-ray sind mit einer Hörfilmfassung für Blinde und mit Untertiteln für Hörgeschädigte ausgestattet.
DVD:
Verleih VÖ 01.10.2013 / EAN: 4009750215029 / Bestell-Nr: 215021
Verkauf VÖ 10.10.2013 / EAN: 4009750215036 / Bestell-Nr.: 215033
Blu-ray:
Verleih VÖ 01.10.2013 / EAN: 4009750397060 / Bestell-Nr: 397061
Verkauf VÖ 10.10.2013 / EAN: 4009750397077 / Bestell-Nr.: 397073
Ton: DVD Dolby Digital 5.1 / BD DTS-HD Master Audio 5.1
Sprachen: Deutsch, Deutsch & Englisch mit deutschen Untertiteln
Länge: DVD 109 Min / BD 113 Min
FSK: Hauptfilm 6 (Ãœbernahme beantragt)
Kinostart: 10. Januar 2013
Im Verleih von NFP marketing & distribution GmbH
Mehr Infos zum Film: www.hannaharendt-derfilm.de

Der Trailer: www.youtu.be

Produziert wurde HANNAH ARENDT von Heimatfilm, in Co-Produktion mit AMOUR FOU Luxembourg, MACT Productions und Metro Communications, gefördert von der Film- und Medienstiftung NRW, FFA, FFF Bayern, DFFF, CNC, Film Fund Luxembourg – Fonspa und Film Fund Luxembourg – CIAV, Eurimages, Israel Film Fund, Jerusalem Film Fund, in Koproduktion mit der Degeto Film GmbH, dem BR und dem WDR.

Mehr Infos zu Hannah Arendt:

Hannah Arendts Beiträge im Archiv des "New Yorker" unter:

www.newyorker.com

archives.newyorker.com

Interviews aus den 1960er Jahren:
www.youtube.com

www.youtube.com

www.youtube.com

Weiterlesen auf AVIVA-Berlin:

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Beitrag vom 10.11.2013

Sharon Adler