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AVIVA-BERLIN.de im Oktober 2024 - Beitrag vom 31.10.2011


Eva Besnyö. Budapest - Berlin – Amsterdam
Lisa Scheibner

Der Bildband zur ersten deutschen Retrospektive der ungarisch-jüdischen Fotografin (1910-2003), die entscheidende Impulse aus dem Berlin der 30er Jahre in ihrem Schaffen verarbeitete. Fasziniert..




... vom "Neuen Sehen" und der Diagonale erkundete sie hier ihre eigene Bildsprache, vor allem im regen Austausch mit der politischen Kunstszene.

1932 flieht sie vor dem Nationalsozialismus nach Amsterdam, wo sie nach dem Krieg ihre Karriere fortsetzen kann. Erst in den 1990ern kommt sie wieder nach Deutschland, um an Ausstellungen teilzunehmen. 1999 erhält sie den Dr. Erich Salomon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Fotografie.

Romantik ist nichts für Eva Besnyö, das erkennt sie früh. Auf Rat von József Pécsi, in dessen modernem Foto-Atelier in Budapest sie Ende der 20er ihre Lehre gemacht hat, geht sie nicht etwa nach Paris, sondern nach Berlin.
Aus einer gebildeten jüdisch-ungarischen Familie stammend, mit Kultur und Musik aufgewachsen, ist die Berliner Kunstszene für sie wie geschaffen: Russische Filme, die neue Sachlichkeit, das Bauhaus ganz in der Nähe, Abendkurse in der Marxistische Arbeiterschule.

Die Rolleiflex als Einkaufstasche

Mit der Kamera als "Einkaufstasche" sammelt sie Realitäten ein, experimentiert mit der Form. Während sie tagsüber im Atelier des international bekannten Fotografen Dr. Peter Weller arbeitet, taucht sie in ihrer Freizeit in die politische Kulturszene ein oder macht Aufnahmen mit ihrer Rolleiflex: experimentelle Portraits, Bauarbeiter am Alexanderplatz, Bahngleise, Menschen am Wannsee, Alltagsszenen.
Ihren Sommerurlaub verbringt sie bei ihrer Familie in Ungarn und fotografiert dort unter anderem ihre Schwestern Panna und Magda Besnyö.

Die Herausgeberinnen Marion Beckers und Elisabeth Moortgat beschreiben, dass es nicht einfach ist, Arbeiten Besnyös aus den Berliner Jahren zu identifizieren: Die Werbeaufnahmen und Reportagen, die sie für Dr. Weller angefertigt hat, wurden unter dem Namen seines Ateliers veröffentlicht, wie es damals üblich war. Beckers und Moortgat ergänzen die wenigen Abzüge die den Krieg überlebt haben durch Aufnahmen aus dem Umfeld, das Besnyö beeinflusste. So gibt es auch zahlreiche Fotografien, auf denen sie selbst zu sehen ist.

Im Untergrund

Durch den aufkommenden Nationalsozialismus schlägt die kreative Stimmung in Berlin in Aggressivität um: 1932 entschließt sich Eva Besnyö, mit dem Filmemacher und Fotograf John Fernhout, den sie wenig später heiratet, Deutschland zu verlassen. Zunächst ist Amsterdam eine gute Alternative: Das Paar teilt sich mit zwei weiteren Künstlern eine Atelierwohnung, Besnyö fotografiert Architektur, macht Werbeaufnahmen und portraitiert zahlreiche KünstlerInnen, wie die Schauspielerin "Narda", deren intensives Portrait von 1937 das Titelbild des Buches ist. Der Freundeskreis um die Malerin Charley Tooroop, Vertreterin der "Neuen Wirklichkeit", hilft ihr, sich in den Niederlanden zu etablieren. 1936 ist sie beteiligt an der Ausstellung "D-O-O-D", die sich gegen die Olympiade im nationalsozialistischen Deutschland richtet.

Als die Nazis in den Niederlanden einmarschieren, muss sich Eva Besnyö lange versteckt halten und kann nicht offiziell arbeiten, erhält aber rechtzeitig einen "Ariernachweis" und überlebt. Ihr Vater wird in Auschwitz ermordet, wie sie später erfährt. Nach dem Krieg dauert es Jahre, bis sie sich wieder als Fotografin etabliert hat. Mit ihrem zweiten Mann Wim Brusse bekommt sie zwei Kinder. In den 70ern dokumentiert sie die niederländische Frauenbewegung "Dolle Mina", an der sie auch aktiv teilnimmt, und vernachlässigt für eine Weile die Form für den Inhalt.
1999 erhält Eva Besnyö 89-jährig den Dr. Erich Salomon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Fotografie.
Besnyös spätere Arbeiten in den Niederlanden wurden dort mehrfach aufbereitet, es erschienen bereits einige Monografien. Der Bildband von Marion Beckers und Elisabeth Moortgat dokumentiert nun die raren früheren Aufnahmen aus Budapest und Berlin, die vor allem aus dem persönlichen Archiv Besnyös stammen, das seit ihrem Tode im Jahre 2003 von ihrer Tochter verwaltet wird.

AVIVA-Tipp: Eva Besnyö war eine eigenwillige, moderne Fotografin, die sich, nach eigener Aussage, immer auf der Suche nach einem Gleichgewicht zwischen Inhalt und Form befand. Ihre Portraits von KünstlerInnen, Kindern und ArbeiterInnen sind direkt und konzentriert, nie geschönt oder gar nostalgisch. Sie erzeugen trotz genauer Betrachtung und ungewöhnlicher Perspektiven ein Gefühl von Nähe. Besnyös formale Experimente sind nie gänzlich abstrakt, die Realität findet immer wieder einen Weg in das Bild, wenn sie Architektur, Details oder Menschengruppen fotografiert. Die Schwarz-Weiss-Aufnahmen des wunderbaren Bildbandes sind eingebunden in die Texte über Besnyö, in denen die Herausgeberinnen deren ereignisreiche Biografie beleuchten.

Zu den Herausgeberinnen:

Marion Beckers
ist Chefkuratorin und Geschäftsführerin des Verborgenen Museums, in dessen Vorstand Elisabeth Moortgat sitzt. Das Verborgene Museum beschäftigt sich mit der Aufarbeitung von Biografien und dem Lebenswerk in Vergessenheit geratener Künstlerinnen, die es in Ausstellungen und durch Buchpublikationen würdigt. 1992 veröffentlichten Beckers und Moortgat bereits einen Band über Eva Besnyö, der inzwischen vergriffen ist. Darüber hinaus haben sie mehrere Fotografinnen-Biografien zusammen herausgegeben: "Die Riess: Fotografisches Atelier und Salon 1918-1932 in Berlin" (2008) und "Atelier Lotte Jacobi: Berlin - New York"(1997).

Weitere Infos unter:

www.dasverborgenemuseum.de

Marion Beckers im Jewish Women´s Archive

Elisabeth Moortgat in der Redaktion MuseumsJournal bei Kulturprojekte Berlin.

Das Verborgene Museum zeigte vom 28. Oktober 2011 - 27. Februar 2012 Besnyös Fotografien in der Berlinischen Galerie.
Weitere Infos: www.berlinischegalerie.de

Eva Besnyö. Budapest - Berlin - Amsterdam
Herausgegeben und mit Beiträgen von Marion Beckers und Elisabeth Moortgat.
Hirmer Verlag, erschienen Herbst 2011
Texte in deutscher und englischer Sprache
Gebunden, 248 Seiten mit 112 Duplex-Tafeln und 159 Duplex-Abbildungen
ISBN: 978-3-7774-4141-2
39,90 Euro
www.hirmerverlag.de

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Beitrag vom 31.10.2011

AVIVA-Redaktion