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AVIVA-BERLIN.de im Oktober 2024 - Beitrag vom 25.05.2021


Philosophinnen - Von Hypatia bis Angela Davis: Herausragende Frauen der Philosophiegeschichte. Herausgegeben von Rebecca Buxton und Lisa Whiting
Sabina Everts

Die Schlüsselwerke der Philosophie wurden alle von Männern geschrieben? Ganz und gar nicht! Zwanzig Essays portraitieren brillante Frauen von der Antike bis zur Gegenwart, deren Beiträge zur Philosophie bis heute zu wenig anerkannt wurden.




Wer in einer Suchmaschine den Begriff "Philosoph" eingibt, schaut in der Bildergalerie in gemalte und gemeißelte Gesichter vornehmlich weißer, älterer Männer. Manche tragen eine Toga, andere eine barocke Perücke, alle haben einen strengen Blick: Hegel, Kant, Marx, Aristoteles, Mendelssohn, dazwischen einige wenige Fotografien von Philosophen der Gegenwart.
Bei dem Wort "Philosophin" sehen die Ergebnisse schon anders aus: Keine Statuen, keine Gemälde, sondern fast ausschließlich Fotografien zeitgenössischer Philosophinnen. Darunter einige ältere Aufnahmen von Hannah Arendt und Simone de Beauvoir.

Beinahe könnte der Eindruck entstehen, weibliche Philosophinnen seien ein Phänomen der Postmoderne und Gegenwartsphilosophie. Und auch: Philosophie sei eine rein weiße Disziplin. Diesen verstaubten Assoziationen setzen die britischen Philosophinnen Rebecca Buxton und Lisa Whiting ihren Band "Philosophinnen" entgegen und zeigen: Frauen waren weltweit schon immer ein wichtiger Teil der Philosophiegeschichte.

Philosophinnen schreiben über Philosophinnen

Zwanzig kritische wie unterhaltsame Essays portraitieren Frauen, deren Rolle in der Geschichte der Philosophie bis heute wenig rezipiert ist. Die Autorinnen der Beiträge sind promovierte Philosophinnen, Professorinnen für Religion, Politikwissenschaften, Gender Studies, Theologie, Ethik, Jura oder Soziologie sowie Anwältinnen, Schriftstellerinnen und Menschenrechtaktivistinnen. Sie ermöglichen Leserinnen auf wenigen Seiten eine Annäherung an Denkerinnen, die wie sie selbst ganz unterschiedliche akademische und kulturelle Hintergründe haben. Dabei gehen sie mal chronologisch, mal fragmentarisch vor und machen neugierig auf die Persönlichkeiten hinter den bekannten und unbekannten Namen.

Die Erste, die Einzige

Viele dieser am imaginären runden Tisch versammelten Philosophinnen sind auf die eine oder andere Art "die Erste" oder "die Einzige". Die von Sokrates verehrte Diotima ist die einzige Frau, die in Platons berühmtem "Symposion" Erwähnung findet. Iris Murdoch gehört in den 1940ern zur ersten "rein weiblichen philosophischen Schule". Die Menschenrechtsaktivistin Angela Davis zieht mit ihren Eltern als erste Schwarze Familie in ein bis dahin ausschließlich von Weißen bewohntes Viertel in Birmingham in Alabama. Die Gegenwartsphilosophin Anita Allen ist die erste afroamerikanische Frau, die einen Doktortitel in Jura und Philosophie hat, Azizah Y. al Hibri die erste muslimische Frau, die in den Vereinigten Staaten auf eine Jura-Professur berufen wurde.

Dieses "die Einzige", die "Erste"-Sein birgt eine besondere Wirkung, denn es macht ihre individuellen Lebensgeschichten auch zu beispielhaften Erzählungen mutiger Innovation und kreativen Denkens jenseits gesellschaftlicher Konventionen. Einige der portraitierten Denkerinnen verließen den elitären Raum der theoretischen, akademischen Philosophie und übertrugen ihre Ideen in die philosophische Praxis, indem sie Denkansätze zum Beispiel in Romanen und Erzählungen für nicht-akademische Leserinnen verständlicher machten. So vielfältig wie sie selbst, waren dabei auch ihre Methoden und Konklusionen.

Gatekeeping

Eines haben sie aber alle gemeinsam: Sei es in der Antike, im Mittelalter, in der Neuzeit oder in der Gegenwart, sie alle finden sich in ihrem Schaffen und Denken in einer patriarchalen Gesellschaftsstruktur wieder. Ihre philosophischen Leistungen sind deshalb meist eng mit der Arbeit ihrer männlichen Kollegen verzahnt, die als Gatekeeper die wichtigsten Positionen an Universitäten und anderen Bildungseinrichtungen besetzen.
Ein Beispiel, an dem sich die negative Auswirkung dieses jahrhundertealten Konstrukts besonders zeigt, ist die jüdische Philosophin Edith Stein, die in enger Zusammenarbeit mit dem Philosophen Edmund Husserl an der Theorieentwicklung zur Phänomenologie arbeitete. Als zweite Frau, die in Deutschland einen Doktortitel in Philosophie erlangte, fand ihre akademische Karriere ein abruptes Ende, als Husserl ihre Habilitation ablehnte. Für andere, wie für die Schriftstellerin Mary Anne Evans alias George Eliot oder die Philosophin Harriet Taylor Mill, waren die gesellschaftlichen Strukturen so unüberwindbar, dass sie unter einem männlichen Pseudonym oder in Zusammenarbeit mit einem männlichen Partner veröffentlichten.

Philosophie entstauben

Lisa Whiting und Rebecca Buxton schreiben in der Einleitung zu ihrem Essayband, dass es trotz vieler Veränderungen noch immer ein weiter Weg sei, um das allgemeine Bild von Philosophie zu verändern. Anlässlich der Veröffentlichung ihres Buchs forderten sie unterschiedliche Menschen auf, ihnen so viele Philosophen wie möglich zu nennen und stellten im Anschluss dieselbe Frage nach Namen von Philosophinnen. Während die meisten der Befragten einige männliche Philosophen nennen konnten, fiel niemandem auch nur eine einzige weibliche Philosophin ein. "Can you name any philosophers" ist online unter: www.youtube.com.

Eine Erhebung des statistischen Bundesamts 2019 zeigt, dass in Deutschland weibliche Promovierende im Fach Philosophie nur etwas mehr als ein Drittel ausmachen. Das ist insbesondere im Vergleich zu anderen geisteswissenschaftlichen Fächergruppen wie zum Beispiel den Literatur- und Sprachwissenschaften auffällig, in denen der Anteil weiblicher Promovierender meist deutlich überwiegt.
Frau darf sich also fragen: Hat die akademische Philosophie den Anschluss verpasst?

Der Band "Philosophinnen. Herausragende Frauen der Philosophiegeschichte" regt dazu an, Philosophie als pluralistische Disziplin zu erkennen, die maßgeblich von Frauen geprägt wurde, die sich trotz schwieriger Voraussetzungen nicht vom Denken und Philosophieren abhalten ließen. Jedes einzelne Essay ermutigt zum Weiterlesen und – um es mit Hannah Arendts Worten zu sagen- zum eigenen "Denken ohne Geländer".

AVIVA-Tipp: Die Philosophie braucht ihre Philosophinnen. Rebecca Buxton und Lisa Whiting zeigen mit ihrem Buch "Philosophinnen. Herausragende Frauen der Philosophiegeschichte", dass die Beiträge vieler genialer Frauen zur Philosophiegeschichte bisher nicht genügend anerkannt wurden. Zwanzig Essays, verfasst von Philosophinnen und Wissenschaftlerinnen der Gegenwart, machen neugierig auf inspirierende Persönlichkeiten von der Antike bis heute.

Zu den Herausgeberinnen:

Die beiden britischen Herausgeberinnen Rebecca Buxton und Lisa Whiting setzen sich für mehr Sichtbarkeit weiblicher Stimmen in der Philosophie ein. Für die englische Ausgabe des Buches starteten sie eine erfolgreiche Crowdfunding Kampagne und erhielten überragenden Zuspruch. Auf dem Twitter-Account @ThePhiloQueens informieren sie zu aktuellen Veröffentlichungen und Veranstaltungen rund um das Thema "Frauen in der Philosophie" sowie zu ihrem eigenen Essayband, der im Englischen unter dem Originaltitel "The Philosopher Queens. The lives and legacies of philosophy´s unsung women" erschienen ist.

Rebecca Buxton absolvierte einen Bachelor in Philosophie am King´s College in London und einen Master in Flüchtlings- und Zwangsmigrationsstudien an der Universität Oxford. Dort promoviert sie zurzeit zu politischer Philosophie und Zwangsmigration, mit dem Schwerpunktthema politische Rechte von Geflüchteten und Migrant*innen.
Mehr Infos: Twitter-Account@RebeccaBuxton

Lisa Whiting ist Politikwissenschaftlerin und forscht zu den Schnittstellen zwischen Politik, Ethik und Gleichberechtigung. Sie arbeitete bereits für die Human Fertilisation and Embryology Authority, forschte am Centre for Data Ethics and Innovation und schloss einen Master an der Birkbeck Universität in London ab.
Mehr Infos: Twitter-Account@lisawhiting

Mit Texten über:
Hypatia, Diotima, Ban Zhao, Mary Wollstonecraft, Lalla, Mary Astell, Harriet Taylor Mill, Mary Anne Evans (George Eliot), Edith Stein, Hannah Arendt, Simone de Beauvoir, Iris Murdoch, Mary Midgley, Elizabeth Anscombe, Mary Warnock, Sophie Bosede Oluwole, Angela Davis, Iris Marion Young, Anita L. Allen und Azizah Y. al-Hibri
Mit Beiträgen von:
Anita L. Allen, Minna Salami, Gulzaar Barn, Helen McCabe, Sandrine Bergès, Lisa Whiting, Eva Kit Wah Man, Désirée Lim, Kate Kirkpatrick, Jae Hetterley, Ilhan Dahir, Zoi Aliozi, Shalini Sinha, Simone Webb, Clare Carlisle, Rebecca Buxton, Fay Niker, Ellie Robson, Hannah Carnegy-Arbuthnott und Nima Dahir. Minna Salami: Blog: MsAfropolitan

Rebecca Buxton und Lisa Whiting (Hg.)
Philosophinnen. Herausragende Frauen der Philosophiegeschichte. Von Hypatia bis Angela Davis

Originaltitel: The Philosopher Queens: The lives and legacies of philosophy´s unsung women Übersetzung aus dem Englischen: Roberta Schneider, Daniel Beskos & Nefeli Kavouras
mairisch Verlag, erschienen: März 2021
Hardcover, 240 Seiten
ISBN: ISBN 978-3-948722-03-6
22,00 Euro
Auch als E-Book erhältlich
Weitere Informationen zum Buch unter www.mairisch.de

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Beitrag vom 25.05.2021

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